Mittwoch, 25. Januar 2012

Kleine Helden, Große Mythen

Die Sonne stand zum Anpfiff tief. Dennoch rannen den meisten Spielern bereits beim Betreten des trockenen Spielfeldes salzige Tropfen die Stirn hinab. Österreich gegen Italien. Die Azzurri kürten sich erst wenige Monate zuvor in Berlin zum Weltmeister. Frisch gebacken also. Das Selbstvertrauen konnte man in ihren dunklen Augen sehen. Nicht nur auf Grund des Titelgewinns. Historisch. Wir waren ja nur Österreicher. Sie Italiener. Und überhaupt. Schnell lagen die Südländer mit zwei Toren voran. Das vorwiegend italienische Publikum entzückt. Das übliche Spiel bahnte sich an. Österreich war völlig von der Rolle, unorganisiert, die meisten von uns technisch unterlegen. Mit dem Rückstand schien auch die Hoffnung zu schwinden. Unsere Mannschaft ging aber ein hohes Tempo, die Azzurri boten uns Paroli. Jeden Treffer den wir markierten, konterten die Italiener mit einem weiteren, sodass der Rückstand nicht und nicht schmelzen wollte. Flüche waren zu hören. „Wappler!“ Das Spiel wurde ruppiger. Eingeschüchtert durch die unerwartet forsche Spielweise der Österreicher, fühlte sich die Squadra sichtlich unwohl. „Cazzo!“. Hektisch dirigierte ihr lang gewachsener Abwehrchef, „Sinistra! SINISTRA!“. Mit brachialer Gewalt aber, drosch unser Stürmer gegen die Lederkugel, welche aus kurzer Distanz im Netz der Azzurrini wie eine Bombe einschlug. Ausgleich. Die Italiener, so schien es, warfen nun im Eifer des Gefechts die Nerven weg. Auch ihre Spielweise wurde nun aggressiver, schmutziger. Ein ums andere Mal flog ihr leichtfüßiger Zehner zu Boden. Der Schiedsrichter in Dauerbeschuss italienischer Beschwerden aber zu eingeschüchtert, um den unsauberen Methoden der Azzurri Einhalt zu gebieten. Unser tapferer Schlussmann aber hielt bravourös. „Merda!“ Die Verzweiflung der Azzurrini in Anbetracht des Ergebnisses war förmlich zu spüren. Peinlich eine mögliche Schmach gegen das kleine Österreich. Und nicht mehr lange zu spielen. Die Österreicher zollten nun dem hohen Tempo oder den heißen Temperaturen oder beidem Tribut. Die Konzentration schwand. Die Squadra, angepeitscht von einem kreischenden Publikum. Die Österreicher, aber den Hauch einer möglichen Sensation witternd und mit dem schieren Mut der Hoffnung. Ein langer Ball, geschlagen von unserem robusten Abwehrspieler, an die linke Flanke kann vom Außenläufer, mir, noch vor dem Aus gerettet werden. Die Azzurrini aber, wollen um jeden Preis die Kugel und doppeln mich forsch. Mit der Schulter kann ich mir den einen Angreifer vom Leib halten, spitzle die Haut am zweiten vorbei und dringe festen Schrittes in den Strafraum. In dem Moment als der italienische Torhüter wie eine Bestie auf den Ball und mich zustürzt, drücke ich mit meinem linken Fuß erbarmungslos ab. Zoffs Erben bleibt keine Chance. Das Leder schlägt wie eine Kanonenkugel im laschen Netz ein. Sechs zu Fünf für Österreich. Die Italiener, bestürzt über das Ergebnis, weisen sich wild gestikulierend und temperamentvoll fluchend Beschuldigungen am Untergang zu. Wenige Momente später beendet der tunesische Schiedsrichter die Begegnung. Noch Minuten nach dem Abpfiff genieße ich das Gefühl, den Weltmeister besiegt zu haben. Die meisten der Spieler aber interessiert das nicht mehr die Bohne. Sie springen, lechzend nach Abkühlung, in den blau schimmernden Pool oder werden von ihren Eltern abgeholt, um sich für das Abenddinner frisch zu machen.

Intim-Kontrollen für Fussball-Fans!

Pyro-Suche künftig in allen Körperöffnungen

Mit Intim-Kontrollen will die Polizei den Pyro-Schmuggel unterbinden. Sogenannte «Risiko-Fans» sollen demnächst vor dem Sportstadion strippen.

Der Vorfall muss für die Betroffenen ziemlich peinlich gewesen sein. Bei einem Spiel des FC Zürich musste letztes Jahr eine junge Frau aus dem Gästesektor des Stadions Letzigrund notfallmässig ins Spital gebracht werden. Die Ärzte holten einen Feuerwerkskörper aus ihrer Scheide. Er hatte sich dort verklemmt.

Wenige Wochen später fanden Sicherheitsbeamte nach einem Spiel auf der Toilette ein Präservativ – und darin Reste eines Pyros.

Dies zeigt: Hooligans gehen beim Einschmuggeln von Feuerwerkskörpern immer dreister vor. Nun haben die Sicherheits- und Polizeibehörden genug.

Pyros im Poschlitz
Vor kurzem verschärften sie die Massnahmen gegen Gewalt bei Sportveranstaltungen. Sie sehen vor, verdächtige Fans auch an intimen Körperstellen – wie Brüsten,Vagina oder Anus – genau zu kontrollieren.

Wenn man in den Stadien keine Chaoten mehr haben wolle, «dann beginnt die Sicherheit beim Einlass in die Stadien», sagt der Zuger Sicherheitsdirektor Beat Villiger (55), Vorstandsmitglied der Schweizerischen Justiz- und Polizeidirektoren-Konferenz (KKJPD).

Er will Intimkontrollen allerdings nur gezielt und unter Wahrung der Verhältnismässigkeit ansetzen, «beispielsweise bei Personen, die schon einmal Stadionverbot hatten oder als Risiko-Fans bekannt sind».

Für solche Kontrollen brauchts Polizeibeamte
Der Luzerner Polizeikommandant Beat Hensler (55) begrüsst die Verschärfung.

«Wir hatten schon Fälle, in denen pyrotechnisches Material im Poschlitz, an der Bauchdecke oder im unteren Rückenbereich mit Klebeband montiert und so in die Stadien geschmuggelt wurde», sagt er.

Klar ist: Intim-Kontrollen stellen einen schweren Eingriff in die Persönlichkeitssphäre dar.

Das Bundesamt für Justiz liess daher im Auftrag der KKJPD die Rechtmässigkeit solcher Kontrollen genau abklären. Auszüge des Gutachtens liegen SonntagsBlick vor. Diese halten fest: Polizistinnen dürfen nur Frauen, Polizisten nur Männer untersuchen.

Und immer muss eine medizinische Fachperson dabei sein. Private Sicherheitsleute dürfen keine Intim-Kontrollen vornehmen – ihnen ist nur das Abtasten der Kleider gestattet.

Hose runter!
Das verschärfte Regime war in der eben zu Ende gegangenen Vernehmlassung allseits unumstritten.

Für unbelehrbare Fans bedeutet das: Bei Verdacht auf Pyro-Schmuggel müssen sie künftig damit rechnen, von der Polizei in ein Kabäuschen geführt zu werden – und dort buchstäblich die Hosen runterzulassen.


Quelle: blick.ch; Sonntag, 22. Jänner 2012


In wie weit die Verhältnismäßigkeit eingesetzter finanzieller Ressourcen gegenüber einer eine Minute funkelnden Bengale stehen, bleibt jedem selbst zu beurteilen. Fakt ist, dass mit falscher Wortwahl und reißerischer Rhetorik Stimmung gegen einen bestimmten Typus „Fußballfan“ gemacht wird, der dem sicherheitswähnenden Zeitgeist von heute zu sehr ein Dorn im Auge zu sein scheint.

Donnerstag, 19. Januar 2012

Sängerknaben in Kurvenlage #8: Torino FC

Nachdem Lazios Curva Nord am 20. Jänner 2000 im Spiel gegen die AS Bari mit dem Spruchband „Onore alla Tigre Arkan“ an den fünf Tage zuvor verstorbenen Željko Ražnatović, dem vorgeworfen wurde im Jugoslawienkrieg Völkermord und Vertreibung an Nicht-Serben befehligt zu haben, gedachten, konterte die Kurve von Torino:


Quelle: forum.toronews.net

Die Freuden journalistischer Finten

Schließlich schneit es Mitte Jänner dann doch. Und der Schnee bleibt auch liegen. Zumindest für zwei Tage. Hat sich der Winterschlaf, welchen der österreichische Kick wochenlang hält, also doch gelohnt. Wird endlich Zeit, dass auch Mattersburg eine Rasenheizung verlegt, in der Halle möchte anscheinend sowieso niemand mehr scheiberln und dribbeln. In den wirklichen Fußballländern bleibt der Fußballteil der Zeitungen auch in dieser tristen Jahreszeit bunt und prall. In England sogar, obwohl die überhaupt nicht pausieren. Die Gerüchteküche brodelt. Bei uns dominieren jene mit den zwei Brettern die Seiten. Die ökonomische Perspektive der Klubs lässt aber eh kaum Raum für Spekulationen. Und auch wenn billiger Sportjournalismus eher Fadesse und mindere Qualität mit sich bringt, wer schon einmal im Fenster englische Kurzmeldungen über nebulöse Transfergerüchte studiert hat, weiß wie farbenprächtig und geheimnisvoll zugleich das ganze Geschäft anmutet. Und auch wenn nie klar werden wird, wer achtundsiebzig Minuten vor Transferschluss neun Millionen Pfund für Nikica Jelavic geboten hatte, kann immer noch ironischwitzig festgehalten werden: „It could have been anyone but let's rule Accrington Stanley out for starters.“

Dienstag, 10. Januar 2012

Bien[re]venue à Londres!

Er kann’s also doch noch. Der Star meiner Jugend. Nicht nur einmal nötigte ich meinen Vater dazu, in das sommerliche Bad Waltersdorf zu fahren, wo der FC Arsenal seine Saisonvorbereitung absolvierte. Und dann kam tatsächlich das eine Mal. Da kommt er lächelnd und in Flip-Flops aus den Umkleiden und bevor er in den bereitstehenden klimatisierten Bus steigt, der die Spieler die vielleicht fünfhundert Meter vom Trainingsplatz ins Hotel bringen soll, nimmt sich das Idol die Zeit und bekritzelt mit schwarzem Filzler ein jungfräulich weißes Blatt Papier und verschwindet im Gefährt hinter verdunkeltem Glas. Der Moment für die Ewigkeit. Später das Finale von Paris. Dann der Wechsel zu Barcelona. Da war meine kindliche Leidenschaft schon etwas geschwunden. So ganz konnte ich den Transfer aber nicht verstehen. Er wollte doch bis an sein Lebensende für Arsenal spielen. Oder zumindest bis ans Ende seiner Karriere. Vielleicht doch nur ein weiterer Phrasen dreschender Wappenküsser? Doch gestern dieser typische Schlänzer ins lange Eck. Wie früher. Doch fünf Jahre später. Der Jubel sagte mehr als tausend Worte. Willkommen zurück, Thierry Henry. Zumindest für acht Wochen.

Donnerstag, 5. Januar 2012

Internetfirmen pokern um Fußball-Rechte

Yahoo zeigt Interesse an der Bundesliga, Apple und Google wollen angeblich britische Spiele übertragen.

Siebenhaar, Hans-Peter

Hans-Peter Siebenhaar Düsseldorf Führende Internet-Konzerne drängen in das Geschäft mit Fußball-Übertragungen. So pokert der krisengeschüttelte Internetkonzern Yahoo um die Rechte der Fußball-Bundesliga ab der Saison 2013/14 für die nächsten vier Spielzeiten. "Wir sind an allen Highlight-Paketen aus der ersten und zweiten Bundesliga interessiert", sagte Yahoo-Deutschland-Chef Heiko Genzlinger dem Fachmagazin "Sponsors".

Die Deutsche Fußball-Liga (DFL) darf nach einer Entscheidung des Kartellamts im Juni 2011 erstmals ein Rechtepaket anbieten, das am Samstag eine frühe Highlight-Berichterstattung im Internet und auf mobilen Endgeräten ermöglicht. Das will Yahoo nutzen. Allerdings wird die Suchmaschine nicht gegen die ARD im Kampf um die "Sportschau" am frühen Samstagabend antreten. "Wenn die ARD das Paket für die 18.30-Uhr-Sportschau im Free-TV haben will, werden wir als wirtschaftlich getriebenes Unternehmen, das die Kosten refinanzieren muss, keine Chance haben. Es muss alles auch wirtschaftlich Sinn machen", sagt Genzlinger. Realistisch sei für Yahoo daher das Paket ab 21.45 Uhr. Die ARD hatte für die Zusammenfassung zuletzt pro Saison nach Branchenangaben rund 100 Millionen Euro gezahlt, davon 75 Millionen für die "Sportschau". Dieser Preis ist von privaten Konkurrenten über Werbespots nicht refinanzierbar.

Beim Poker um die Live-Rechte wird es der bisherige Rechteinhaber Sky offenbar auch diesmal leicht haben. Denn die DFL hat bislang keine ernstzunehmenden Konkurrenten aufgetan. Sky hatte für die Live-Rechte zuletzt 250 Millionen Euro pro Saison gezahlt.

Yahoo ist aus Geldgründen an den Live-Rechten nicht interessiert. Genzlinger glaubt nicht, dass sich die Fans vor den Computer setzen, um die Spiele in Echtzeit zu genießen. "Wir denken nicht, dass die Mehrheit der Nutzer bereit dafür ist. Wir glauben zwar, dass man mit Live-Rechten Reichweiten generieren kann, aber ich bin Realist. Bei der Frage, ob ich mir Live-Spiele am großen Flat-TV oder am Laptop anschaue, würde ich den Fernseher immer vorziehen."

In Großbritannien sendet Yahoo bereits seit der Spielzeit 2010/11 ab Montag einen vierminütigen Videoclip von der Premier League. Für die Mini-Rechte zahlt der Konzern zehn Millionen Euro pro Spielzeit.

Künftig wollen Internetkonzerne in Großbritannien eine größere Rolle spielen. So ist nach einem Bericht der Zeitung "Daily Mirror" der Elektronikriese Apple an den Übertragungsrechten der britischen Fußball-Liga Premier League interessiert. Der Konzern will damit den Absatz seines bislang wenig erfolgreichen Apple TV und den Verkauf des iPads fördern. Auch die Suchmaschine Google wird als Interessent für die wertvollsten Rechte im britischen Fernsehgeschäft genannt.



Quelle: Handelsblatt von Donnerstag, 05. Jänner 2012; Seite 25

Montag, 2. Januar 2012

Kaputte Knie, gerader Rücken

Im Fußball spiegelt sich in Italien die Lage der Nation: Unter Silvio Berlusconi war er verkommen - dank demütiger Disziplin und einer keimenden Sehnsucht nach Erfolg startet der Calcio eine Renaissance

Simone Farina erlebt eine Saison, die man euphemistisch "durchwachsen" nennen könnte. Er spielt beim AS Gubbio, dem Klub einer Kleinstadt tief in den grünen Hügeln Umbriens, allerhinterste Fußballprovinz, in der sich Wildschwein und Dachs Gute Nacht sagen. In der Hinterwäldler-Mannschaft von Gubbio ist Farina ein kleines Licht in der Abwehr, ein Befehlsempfänger der Abteilung Hauen und Stechen. Einer von denen, die mal vielversprechend waren in der Jugendmannschaft des AS Rom, bevor sie sich mit mehr Einsatz als Talent den Respekt eines sehr bodenständigen Publikums errackern, das Kummer gewöhnt ist.

Im Unterholz des Calcio kämpft Gubbio um den Klassenerhalt in der zweiten Liga und Farina rödelt, damit diese Runde nicht schon seine letzte wird. In den vergangenen Monaten war er dauernd verletzt, die Knie sind auch nicht mehr das, was sie mal waren, dabei ist er noch nicht mal 30. Für einen wie ihn gibt es keine Karrieresprünge mehr, es winken keine Prämien, keine Pokale und zum Schluss noch nicht mal ein ordentliches Abschiedsspiel.

Und doch ist Simone Farina Italiens Spieler des Jahres. Der Weltmeister Torwart Gianluigi Buffon lobt ihn öffentlich über den grünen Klee und Nationaltrainer Cesare Prandelli hat Farina eingeladen, vor dem Freundschaftsspiel gegen die USA Ende Februar zwei Tage lang mit der Squadra Azzurra zu trainieren. Zur Begründung sagte Prandelli: "Von dem Spieler Farina können wir viel lernen bei unserem Kampf gegen die Omertà." Die Omertà ist das Schweigegebot der Mafia, es war bis vor kurzem ein Wort, das ein italienischer Nationaltrainer nicht in den Mund genommen hätte. Und schon gar nicht wurden zweitklassige Profis zur Nationalmannschaft geladen, nur weil sie "Nein" gesagt hatten.

Der Fall Farina zeigt, dass sich im italienischen Fußball 2011 vieles geändert hat. Auch wenn an der Tabellenspitze der Serie A mit Juventus Turin und dem AC Mailand zwei uralte Bekannte stehen, ist im Calcio kein Stein mehr auf dem anderen.

Farina hatte sich geweigert, als ihn ein alter Bekannter kontaktierte, der es auf dem Platz auch nicht weit gebracht hatte. Jetzt bot der Freund ihm 200 000 Euro an, falls der Spieler von AS Gubbio den Torwart und einen anderen Abwehrspieler dazu anstiften würde, Ende November beim Pokalspiel gegen den Erstligisten Cesena mit Pauken und Trompeten zu verlieren, im Jargon: ein "over". 200 000 Euro sind mehr als das Doppelte von Farinas Brutto-Jahresverdienst, viel Geld für eine Niederlage, die sowieso unvermeidlich schien. Farina sagte: "Vergiss es!" Gubbio verlor später 0:3, ein ehrliches over. Und Simone Farina wurde ein Held. Kaputte Knie und ein gerader Rücken, eine Lichtgestalt der Aufrechten, ein Symbol der Basta-Italiener.

Nach fast 20 Jahren Berlusconismus ist ein Ruck durch das Land gegangen. Wursteln, mauscheln und prassen war gestern, als im Palazzo Chigi noch der Bunga-Bunga-Partylöwe residierte, inzwischen aber sind dort die Bußprediger der Schuldenkrise eingezogen. Der neue Ministerpräsident verzichtet angesichts der leeren Staatskassen auf sein Gehalt, die neue Arbeitsministerin weint öffentlich heiße Tränen, wenn sie die Bürger zu Opfern zwingen muss. Auf Italiens Autobahnen werden neuerdings die größten Karren von der Polizei angehalten. Nicht etwa, weil deren Fahrer zu schnell waren, sondern weil die Polizisten sehen wollen, ob sie sich denn laut Steuererklärung überhaupt soviel PS leisten können. Der Umsatz bei Maserati und Ferrari soll wegen dieser Stichproben bereits dramatisch eingebrochen sein, wer auf sich hält, fährt besser Fiat Panda.

Im Fußball sind die fetten Jahre schon etwas länger vorbei, von der einstigen Glitzerliga der 1980er und 1990er Jahre ist nicht mehr viel übrig geblieben. Die Krise, die den Calcio in seinen Grund- festen erschütterte, begann bereits 2006. Damals zerbrach das Regiment von Luciano Moggi, dem fast allmächtigen Generaldirektor von Juventus Turin. Ein Machtgefüge wie aus einem anderen Fußball-Zeitalter, denn Moggi köderte seine Helfershelfer nicht etwa mit Geld.

Die Manipulation von nachweislich 39 Spielen klappte vielmehr, weil die Akteure sich nahtlos in ein feudalistisches Machtsystem einfügten. Schiedsrichter, Funktionäre und Sportjournalisten unterwarfen sich, weil sie sich davon Vorteile versprachen. Vor allem aber, weil das System Moggi Alternativlosigkeit suggerierte: Nur wenn ihr bei uns mitmacht, könnt ihr Erfolg haben, nur dann zählt ihr zu den Gewinnern. Die Parallelen zum Berlusconismus sind offensichtlich. Dass Moggi abdanken musste, ist einigen unabhängigen Staatsanwälten zu verdanken aber auch dem Umstand, dass von ihm zuletzt immer weniger profitieren konnten. Und dass Italiens oberster Fußball-Drahtzieher außerhalb der Landesgrenzen nicht für voll genommen wurde.

Inzwischen ist Moggi zu fünf Jahren Haft verurteilt und sein ehemaliger Klub Juventus Turin das Symbol für den Calcio im Büßergewand. Nach dem Skandal war Juve 2006 zum ersten Mal in die zweite Liga relegiert worden, drei Weltmeister stiegen damals mit ab. Der Wiederaufbau erwies sich als überaus mühsam, fünf Jahre brauchte der Rekordmeister, um wieder ganz oben zu stehen. Doch die einstigen Hohepriester des "calcio cinico" zeigen sich heute demonstrativ bescheiden. Selbst gegen jene Gegner, die man früher einszunull niederverwaltet hätte, zeigt Juventus einen ehrlich bemühten Kampffußball, der nicht immer schön anzusehen ist aber verbissen einen Punkt nach dem anderen erringt.

So gesehen ist für die Alte Dame, wie so oft in ihrer Geschichte, der Zeitgeist Spielmacher, während die pomadige Attitüde der Konkurrenz von Milan hoffnungslos von gestern scheint. Dort diktiert nun wieder Großvater Berlusconi eine Mannschaftsaufstellung wie in den goldenen 80er Jahren, während die Enkelgeneration bei Juventus dafür gesorgt hat, dass ihr Klub als erster der Serie A eine eigene Arena besitzt. Das neue, überaus moderne Stadion ist fast immer ausverkauft und gilt als zukunftsweisendes Modell für die Konkurrenz. Übrigens ohne Namenswechsel zugunsten eines Versicherungskonzerns, das Alpenstadion durfte Alpenstadion bleiben. Auf den Rängen geht es neuerdings friedlich zu. Durch den kontrollierten Ticketverkauf und die "Tessera del Tifoso" (Dauerkarten und Teilnahme an Auswärtsspielen nur noch mit Fanausweis) sind Stadionrandalen zur Ausnahme geworden.

Während die Politik in Ermangelung von geeignetem Führungspersonal das Zepter an betagte Experten abgeben musste, hat im Fußball der Generationswechsel schon stattgefunden. Eine pragmatische und international ausgerichtete Trainerriege gibt da den Ton an, frei von Dünkel und doch recht erfolgreich. Gerade sind drei italienische Mannschaften ins Achtelfinale der Champions League eingezogen, der AC Mailand, Inter Mailand und völlig überraschend der SSC Neapel - die Neapolitaner warfen Manchester City raus. Die Serie A stellt damit mehr Achtelfinalisten als jede andere europäische Liga. Dahinter stecken viel demütige Disziplin und ein neuer Hunger nach Erfolg. Vom Wiederaufbau im Fußball könnte die Politik eine Menge lernen - nachdem sie den Calcio über Jahrzehnte zum Spielball der eigenen Interessen degeneriert hatte.

Sicher, Milan gehört immer noch Berlusconi und Juventus der Autobauerfamilie Agnelli. Und sicher, in der Provinz agieren Typen wie Lazio Roms Patron Claudio Lotito, der sich kürzlich mit einem Verbandsfunktionär raufte. Es ging ausgerechnet um den Ethikkodex. Oder Neapels Präsident Aurelio De Laurentiis, der seine Kollegen gern öffentlich zum Teufel wünscht, in Wirklichkeit ist seine Wortwahl noch etwas deftiger. Diese Temperamentsbolzen bilden die Rustikal-Fraktion der Serie A, solche Männer gibt es fast überall im europäischen Klubfußball. Die hamletische Grandezza eines Massimo Moratti jedoch, der die Mailänder Internazionale mit dem Enthusiasmus und der Eleganz eines Renaissancefürsten führt - das ist einmalig italienisch.

Der Eigentümerwechsel beim AS Rom diesen Sommer zeigt, dass die Ära der Putzkolonnenpräsidenten (Lotito) und B-Film-Produzenten (De Laurentiis) bald zu Ende sein könnte. Die Roma, vormals im Besitz eines rustikalen lokalen Baulöwen mit besten Verbindungen in den Vatikan, wurde von einer amerikanischen Investorengruppe übernommen. Leute, die Geld haben, es aber unter keinen Umständen und schon gar nicht unter dem Druck von Kurvenrowdys aus dem Fenster hinauswerfen wollen. Die Amerikaner feuerten den altgedienten Roma-Spieler Vincenzo Montella aus seinem Traineramt und heuerten den Spanier Luis Enrique an, der ehemals Barcelonas B-Mannschaft coachte. Luis Enrique stellte zuallererst mal das alternde Roma-Idol Francesco Totti kalt. Zu anderen Zeiten hätte er allein dafür Personenschutz verordnet bekommen, jetzt aber kassierte Rom den Affront ohne großes Murren: Wenn es denn der Sache dienlich ist.

Dass die neue Nüchternheit nicht ganz ohne Glanz sein muss, beweist Cesare Prandelli. Der Norditaliener hatte nach dem Abtritt des Moggi-Vertrauten Marcello Lippi und dessen Desaster bei der WM 2010 (Ausscheiden nach der Vorrunde) die Nationalmannschaft übernommen, inzwischen haben sich die Azzurri vorzeitig und ohne große Mühen für die Europameisterschaft qualifiziert. Das vaterländische Pathos seiner Vorgänger geht Prandelli vollkommen ab, ebenso wie der reaktionäre Defensivfußball alter Schule, den er schon als Mittelfeldspieler bei Juventus hasste.

Bei den Azzurri hat Prandelli bereits eine Reihe alter Zöpfe abgeschnitten und dafür ein Kriterium eingeführt, was bislang nicht nur in der Nationalmannschaft ein Fremdwort war: die Meritokratie. Nicht die Vereinszugehörigkeit und noch weniger die Verbindungen sollen einen Platz bei den Azzurri garantieren, sondern wie gut einer spielt. Und wie korrekt er sich auch außerhalb des Platzes benimmt. Prandelli will Vorbildfunktion statt Star-Allüren. Und er will, dass sich seine Mannschaft nicht nur sportlich engagiert. Deshalb ließ er die Azzurri mitten in Kalabrien trainieren, auf einem Gelände, das zuvor einem Boss der berüchtigten Mafiaorganisation 'Ndrangheta gehörte. "Das war für mich der wichtigste Tag im Jahr 2011", hat der Nationaltrainer erklärt - und das sagt viel über ihn, vor allem aber über Italien. In einem Land, wo einst der Effizienzfußball erfunden wurde, kann der Fußball heute einen Idealismus zeigen, der der Gesellschaft nicht nur in Italien längst abgeht.

Wie aber passt dazu der jüngste Wettskandal, in dem der Spieler Simone Farina zum Helden avancieren konnte? 22 Begegnungen der Serie A sollen verschoben worden sein - möglicherweise. Vielleicht auch weniger. Oder mehr. Noch sind die Ermittlungen recht nebulös, noch gibt es nicht mehr als viele Verdachtsmomente, noch mehr Geraune und ein paar Verhaftungen. Im Zentrum stehen ehemalige oder gerade noch aktive Fußballer, Altstars wie Giuseppe Signori, Provinzhelden wie der kurz vor Weihnachten verhaftete Cristiano Doni, langjähriger Kapitän von Atalanta Bergamo, Nobodys wie Alessandro Zamperini, der nach einem Karriere als Wasserträger in der Serie A und der Premier League dadurch bekannt wurde, dass er einen Sommer lang mit einer Frau flirtete, die als Organisatorin von Berlusconis Partys angeklagt ist. Italien ist ein kleines, ja familiäres Land, die Verbindungen zwischen Politik, Fußball und einer gewissen Halbwelt waren bislang ziemlich offensichtlich und recht überschaubar. Abgehalfterte Profis, die ihre Kontakte zum Fußball nutzen, um mit Hilfe von Wettpaten irgendwie ihren Lebensstandard halten zu können. Früher hätte man gesagt: verkrachte Existenzen. Sie bilden den italienischen Part des Skandals, der erst noch einer werden muss.

Wirklich überraschend ist schon jetzt, dass die Hintermänner nicht aus den einschlägig vernetzten einheimischen Organisationen zu stammen scheinen, sondern aus Ungarn und aus Singapur. Vorbei die Zeiten, als noch die neapolitanische Camorra das Monopol der Schwarzen Wetten hatte. Inzwischen fährt ein Polizist, der soeben den mächtigsten Boss des Camorra in dessen unterirdischem Bunker gefasst hat, nach Deutschland, um dort den verurteilten Wettbetrüger Marijo Cvrtak zu vernehmen. Er erfährt, dass Cvrtak einige der Hintermänner der italienischen Mauscheleien zumindest vom Hörensagen kennt. Die Globalisierung des Wettgeschäfts hat schon längst dazu geführt, dass auch die Manipulationen international geführt werden. Italien ist da nur noch ein Schauplatz unter vielen.

Birgit Schönau


Quelle: Süddeutsche Zeitung von Samstag, 31. Dezember 2011; Seite 35