Montag, 2. Juli 2012

XI

Weil es ja en vogue ist nach einer Endrunde, egal ob global oder europäisch, die besten elf Spieler zu nominieren, lasse ich mich nicht lumpen und habe die Statistken nach brauchbarem Zahlenmaterial durchsucht. Basierend auf Einsatzzeit, Passquote, erzielte Tore und Torvorlagen, verursachte Fouls, geschlagene Flanken und ein bisschen subjektiver Wahrnehmung ist folgendes bei rausgekommen.

Torwart: Iker Casillas, Spanien
Hier war für mich vorallem das gestrige Finale ausschlaggebend. Casillas und Buffon sind nach wie vor die besten Torleute der Welt, auf ihrem Weg ins Finale haben beide nur einmal (Casillas) bzw. dreimal (Buffon) hinter sich greifen müssen - und das trotz attraktiver Gegner wie Frankreich, England, Portugal oder Deutschland. Dass Buffon gestern gleich vier Trümmer kassierte, war für mich weniger schwerwiegend als die Tatsache, dass sich Casillas einfach öfter auszeichnete. Besonders in der ersten Halbzeit kamen gefühlte drei Schüsse auf das Tor der Italiener, wobei zwei den Weg ins Netz fanden. Casillas hingegen bewies bei Flanken und Eckbällen, dass er Herr über seinen Strafraum war, entschärfte mehrmalige Weitschüssen und hatte auch aus kurzer Distanz keine Probleme.

Rechtsverteidiger: Theodor Gebre Selassie, Tschechische Republik
Für mich die größte Überraschung dieser Endrunde! Der 25-Jährige spielte alle vier Partien für die Tschechische Republik durch und sicherte sich dank seiner Leistungen auch bereits einen Vertrag bei Werder Bremen. Neben Gebre Selassie hatte ich auch noch Fabio Coentrao und Ignazio Abate in der engeren Auswahl. Im Vergleich mit dem Portugiesen weist Gebre Selassie jedoch eine weit bessere Passerfolgsquote auf (73% statt 61%), zudem konnte er ein Tor seiner Tschechen auflegen.

Innenverteidiger: Mats Hummels, Deutschland
Der Abwehrspieler von Borussia Dortmund rückte im ersten Gruppenspiel gegen Portugal für England-Legionär Per Mertesacker in die Startelf und behielt seinen Platz bis zum Semifinal-Aus. Hummels zahlte das Vertrauen in ihm zurück und überzeugte mit guter Leistung. In 450 Minuten spielte er nur zwei Fouls. 85 Prozent seiner 302 Pässe fanden den Mitspieler. Lediglich beim Führungstreffer der Italiener im Halbfinale machte er gegen Cassano keine gute Figur.

Innenverteidiger: Sergio Ramos, Spanien
Nur der Abwehrchef von Real Madrid hatte beim Passen einen noch besseren Wert: 86 Prozent bei 441 gespielten Bällen sind für einen Innenverteidiger bei dieser Endrunde Topwert! Im Gegensatz zu Hummels, foulte der 26-Jährige deren neunmal und sah zweimal Gelb (Hummels einmal). Auf Grund seiner atemberaubenden Sicherheit und grandiosen Spielweise war er unumstrittener Bestandteil des soliden spanischen Abwehrverbundes. Auch Gerard Piqué (vier Fouls in 570 Minuten, 79% Passerfolg), Holger Badstuber (drei Fouls in 450 Minuten, 82%) oder Pepe (zwei Fouls in 480 Minuten, 69%) wären weitere Kandidaten für die Innenverteidigerposition gewesen.

Linksverteidiger: Jordi Alba, Spanien
Wie sein Pendant am rechten Flügel, sicherte sich auch Jordi Alba während der Europameisterschaft einen Vertrag bei einem neuen Verein. Für 14 Millionen Euro transferiert der 23-Jährige zurück zum FC Barcelona, wo er in der Jugendabteilung wegen seiner geringen Körpergröße aussortiert wurde. Mit einem eindrucksvollen Offensivdrang (ein Tor, eine Vorlage) und neun Flankenversuchen war er der mit Abstand beste Linksverteidiger des Turniers. 84 Prozent angekommene Pässe, bei 501 geschlagenen sprechen eine deutliche Sprache.

Zentralmittelfeld: Xabi Alonso, Spanien
Die eindrucksvollen Zahlen des Ballbesitzes setzen sich im Mittelfeld fort. Vor allem hier erreichen die Leistungen der Spanier schwindelerregende Werte! Angefangen bei Xabi Alonso. Er oder Andres Iniesta? Da schieden sich die Geister. Schließlich sprach die größere Torgefahr für Xabi Alonso. Der Mann von Real Madrid erzielte im Viertelfinale beide Treffer gegen Fankreich und hatte so massiven Anteil am Titel. Iniesta hingegen gelang "nur" die Torvorlage im entscheidenden Gruppenspiel gegen Kroatien. Schließlich entschied ich mich aber doch für den Madridista, weil dieser mit 584 Pässen die zweitmeisten des Turniers spielte. Das sind 97 Ballkontakte pro Spiel. Und weil er defensiv wertvoller war als Iniesta von Barca.

Zentralmittelfeld: Xavi, Spanien
Niemand berührte die Kugel öfter als er. 620 Mal. Zudem flankte das Hirn der Furia Roja 31 Mal, wobei elf Hereingaben den Mann fanden. Zwei Torvorlagen im Finale runden seine Leistung ab. Mehr braucht man nicht zu erwähnen.

Zentralmittelfeld: Andrea Pirlo, Italien
Der Altstar von Juventus Turin erlebt seinen zweiten Frühling. Gerade den Scudetto geholt, führte er die Squadra Azzurra ins Finale von Kiew. Besonders in der Gruppenphase geigte er mit zwei Assits und einem Tor groß auf und war an drei von vier Toren beteiligt. Doch auch in den Ko-Spielen stellte der 33-Jährige unter Beweis wie wichtig er für das Spiel der Azzurri ist und schlug im Match gegen Deutschland vor dem 1:0 den langen Ball auf Cassano. Mit 540 Ballkontakten hatte der Italiener nach Xavi und Xabi Alonso die meisten im gesamten Turnier.

Rechtsaußen: David Silva, Spanien
Mit drei Vorlagen und einem Treffer hatte der quirlige Flügelspieler in der Gruppenphase bei vier von sechs spanischen Toren seine Füße im Spiel. Mit "nur" 297 Ballkontakten in 411 Minuten war er kein so wesentlicher Bestandteil des Tiki Taka wie seine Kollegen Xavi oder Xabi Alonso. Der Mann von Manchester City strahlte aber bei weitem mehr Torgefahr aus und ließ die heftige Kritik an Vicente Del Bosque bezüglich seiner Null-Stürmer-Taktik jeh verstummen. Schließlich setzte der 26-Jährige im Endspiel noch einen drauf und köpfte nach einem herrlichen Spielzug früh zur spanischen Führung ein.

Linksaußen: Cristiano Ronaldo, Portugal
Ich war mich nicht ganz sicher, ob ich ihn in die Auswahl nehmen soll oder nicht. Sein Turnierstart gegen Deutschland und Dänemark war doch sehr bescheiden. In den wichtigen Spielen war er jedoch zur Stelle. Die Niederlande zerstörte der Flügelstürmer mit zwei Treffern im Alleingang und auch das Siegestor gegen Tschechien im Viertelfinale ging auf seine Kappe. Zudem traf er gegen die Niederlande und Tschechien insgesamt viermal den Pfosten. Anteil am tollen Halbfinaleinzug der Selecao hatte der Mann von Real Madrid also allemal.

Mittelstürmer: Mario Balotelli, Italien
Drei Tore gelangen ja mehreren Spielern bei dieser Endrunde. Neben Cristiano Ronaldo hatten aber die drei Buden von Balotelli das größte Gewicht. Die Triplepacks von Alan Dzagoev und Mario Mandzukic halfen ihren Ländern nicht fiel, sie mussten sich nach der Vorrunde dennoch verabschieden. Mario Gomez markierte seine drei Treffer ebenfalls alle in der Gruppenphase und spielte während der Ko-Phase keine große Rolle mehr. Bleibt nurnoch Fernando Torres, der auf Grund seiner geringeren Einsatzzeit offiziell Torschützenkönig wurde, jedoch beim 4:0 über Irland sowie beim bereits entschiedenen Finale traf. Balotelli hingegen kegelte mit seinem eindrucksvollen Doppelpack im Halbfinale die Deutschen höchst persönlich aus dem Turnier und markierte zudem das wichtige Siegtor im entscheidenden Gruppenspiel gegen Eire. In Anbetracht der entscheidenden Signifikanz seiner Treffer und der technischen Eleganz war für mich Balotelli DER Mittelstürmer dieser Euro.

Trainer: Cesare Prandelli, Italien
Für mich ist der commissario tecnico DER Trainer dieser Endrunde. Weil er unterm Strich die problematischste Turniervorbereitung hatte. Mit dem Erdbeben in Norditalien und dem Wettskandal hatte die italienische Seele arg zu kämpfen. Mit dem Mut zu scheinbar überholten Systemen wie dem 3-5-2 und dem 4-4-2 belehrte der Lombarde Europa eines besseren. Zudem meisterte Prandelli im Umgang mit seinen enfants terribles Balotelli und Cassano den Drahtseilakt und bewies pädagogisches und psychologisches Verständnis.

Der traurige Thiago

Die dauernden Wechsel in der Startformation werden Joachim Löw angekreidet, das Ausscheiden im Halbfinale gegen Italien provoziert zu haben. Dass die Squadra Azzurra an jenem Donnerstag aber einen bärenstark Tag erwischt hatte, ging in den deutschen Medien etwas unter. Im Finale waren wiederum für Löws italienisches Pendant, Cesare Prandelli, die Wechsel maßgeblich entscheidend für die finale Niederlage, die Spielertäusche während der 90 Minuten. Wobei dem Commissario tecnico mangelndes taktisches Kalkül kaum vorgeworfen werden darf, Prandelli haderte einfach mit dem Pech.

Bereits nach 21 Minuten musste Chiellini das Feld auf Grund einer Verletzung verlassen - da lagen die Spanier bereits in Front. Für ihn beackerte fortan Federico Balzaretti den linken Flügel. Der einzige gelernte Linksverteidiger im Kader von Prandelli zeigte dabei weit mehr Offensivdrang als Chiellini, was Glück im Unglück zu scheinen vermochte. Die Azzurrini fanden in Fortdauer besser ins Spiel und sollten bis zum Pausenpfiff sogar die tonangebende Mannschaft sein, nach einem atemberaubenden Zuspiel von Xavi erhöhte der aufgerückte Jordi Alba jedoch eiskalt auf 2:0. Prandelli reagierte in der Pause erneut und brachte zum zweiten Durchgang Antonio di Natale für den blassen Cassano. Das Spiel war einem Finale würdig, mit ungewöhnlichen vielen Torraumszenen. Während Italien in Durchgang Eins aber vehement auf den Ausgleich drängte - vor allem durch Weitschüsse und nach Eckbällen -, war es nun die Furia Roja, die zunehmend auf ein drittes Goal drückte. Nach einer Stunde nahm das Spiel leider eine unrühmliche Fügung, durch welche es praktisch entschieden war. Erst betrat Thiago Motta für Montolivo das Feld (57.) um nur vier Minuten später mit einer Oberschenkelverletzung wieder auszuscheiden. Da Cesare Prandelli allerdings keine Wechselmöglichkeit mehr zur Verfügung hatte, war die Squadra gezwungen den Rückstand in Unterzahl aufzuholen. Ein unmögliches Unterfangen. Die Azzurri resignierte, ein frühzeitiges Ende mit falem Beigeschmack in einem bis dato so brilliantem Finalspiel. Dass die Spanier nun nach Herzenslust kombinieren durften, war nicht weiter überraschend. Die Joker Torres und Mata stachen außerdem und erhöhten auf 4:0, ein Ergebnis, das sicher um zwei, drei Tore zu hoch ausfiel.