Mittwoch, 7. November 2012

Die Sommerpause ist vorbei




Zugegeben sie ist es schon etwas länger. Ein praller Terminkalender ließ mich aber nicht eher an einen Blogeintrag denken.

Seither ist viel passiert. Österreich konnte die Türkei nach Dekaden wieder einmal besiegen. Zwar nur in einem freundschaftlichen Vergleich und durch Tore in der Anfangsphase - das übrige Match war durchschnittlich -, schließlich steht aber das 2:0. Eine Topleistung gegen unsere teutonischen Nachbarn wurde durch die Nullnummer von Astana zunichte gemacht. Die entscheidenden Duelle kommen aber noch gegen die Schweden und Iren. Dass die Schweden ein ganz harter Brocken sind, wusste Hans Huber schon 1997. In Berlin 2012 stellten die Wikinger dies erneut unter Beweis. Der heroisch erkämpfte Punkt könnte schließlich zum Zünglein an der Waage werden.

Was geschah noch? Die Salzburger Bullen haben, oh Wunder, einen neuen Trainer. Mit Roger Schmidt holte Didi Mateschitz einen vergleichsweise unerfahrenen Trainer. Und prompt stand dieser nach dem blamablen Ausscheiden im Europacup gegen Düdelingen in der Kritik. Aber immerhin, besser eine schlechte Publicity als gar keine Publicity. In Europas Gazetten war vom Abschneiden der Salzburger zu lesen.

In Hütteldorf machten es alle Beteiligten ein wenig besser. Da wurde immerhin die Gruppenphase der Europa League erreicht. Ganz schön sensationell in Anbetracht der limitierten finanziellen Mittel. Mit Terrence Boyd wurde ein sympathischer US-Boy aus dem deutschen Ruhrpott importiert, der mit akrobatischen Toren schnell die Erwartungen in ihn hoch schraubte. Konstant zu überzeugen wusste der Amerikaner aber noch nicht. Viel mehr Schlagzeilen machten die Vorfälle in Saloniki und die damit verbundenen Konsequenzen. Als dort Anwesender möchte ich hier aber nicht mehr weiter auf die Geschehnisse eingehen, wurden die Ereignisse doch bereits zur Genüge aufgearbeitet und Sanktionen erhoben.

Sportlich lief es aus grün-weißer Sicht lediglich gegen die Salzburger einwandfrei. In beiden Derbies wurde durch inakzeptable Leistungen ein eventueller Polster verspielt. Noch nicht einmal ein Tor gelang Rapid gegen den Erzrivalen im Jahr 2012. Die letzten desolaten Leistungen gegen Leverkusen, Altach und Sturm ließen den Westwind in Hütteldorf nicht gerade abflauen. Ob jedoch länger zurückliegende personelle und organisatorische Ungereimtheiten im Management und dessen Umfeld ein (oder vielleicht sogar der?) Grund der Misere sind, dieser Frage ging Daniel Mandl nach und prangert im Besonderen die quasi nicht existierende Scountingabteilung des SCR an - ein Zustand der bereits seit Jahren Negativschlagzeilen erzeugt. Zudem wird der notorische Mangel an liquiden Mitteln kritisch hinterfragt, wobei Johann Skocek in der heutigen Ausgabe des Wirtschaftsblattes einen grün-weißen Gewinn durch die Europa-League-Teilnahme von etwa 2,5 Millionen Euro vorrechnet. Bei mittlerweile Null Euro Altlasten, durch Abgänge minimierten Gehaltszahlungen und einem damit verbundenen geringeren Jahresfehlbetrag (bislang jährlich 2 bis 3 Millionen Euro) sollte doch der ein oder andere Transfereuro investiert werden können. Bliebe nurnoch die Frage: Wer findet einen passenden Spieler? Dass der Mangel an Kreativspielern augenscheinlich ist, wird momentan durch die Verletzungsserie Steffen Hofmanns sichtbar. Dass nun Thomas Prager an dessen Position agiert, grenzt in Anlehnung an Hofmanns Spitznamen an Blasphemie. Weit und breit ist in Wien-Hütteldorf kein potenzieller Führungsspieler in Sicht, niemand der freiwillig die Verantwortung übernehmen möchte, der die Kohlen aus dem Feuer holen würde - so macht es zumindest den Eindruck.

Und in Europa? Die Dominanz des FC Barcelona und Real Madrid wird vorerst von Atletico Madrid gebrochen. Die Rojiblancos im Falcao sind noch erster Verfolger der Balugrana. In Italien stutzte Stramaccionis Inter Juventus Turin nach 49 Spielen ohne Niederlage die Flügel – ein ähnliches Schicksal wie einst Arsenal. Die verlieren immer mehr den Anschluss an die Top3. Chelsea und die beiden Manchester-Klubs bilden nun das elitäre Dreigestirn am Top der Tabelle. Der FC Liverpool, einst langjähriges Mitglied der Top4, rangierte heuer sogar zwischenzeitlich auf den Abstiegsrängen. Die Lücke zwischen Arsenal und den Europa-League-Anwärtern Tottenham, Fulham oder Everton verringert sich immer mehr. Und in Deutschland sind die Bayern das Maß aller Dinge. Da wird von einer niederlagenlosen Saison gesprochen, prompt siegt Leverkusen erstmals in der Allianz Arena. Die Vorherrschaft scheint aber ungebrochen, kann der größte Titelkonkurrent und Titelverteidiger Dortmund bislang nur auf internationalem Parkett glänzen. Ähnlich wie Schalke und Leverkusen.

Montag, 2. Juli 2012

XI

Weil es ja en vogue ist nach einer Endrunde, egal ob global oder europäisch, die besten elf Spieler zu nominieren, lasse ich mich nicht lumpen und habe die Statistken nach brauchbarem Zahlenmaterial durchsucht. Basierend auf Einsatzzeit, Passquote, erzielte Tore und Torvorlagen, verursachte Fouls, geschlagene Flanken und ein bisschen subjektiver Wahrnehmung ist folgendes bei rausgekommen.

Torwart: Iker Casillas, Spanien
Hier war für mich vorallem das gestrige Finale ausschlaggebend. Casillas und Buffon sind nach wie vor die besten Torleute der Welt, auf ihrem Weg ins Finale haben beide nur einmal (Casillas) bzw. dreimal (Buffon) hinter sich greifen müssen - und das trotz attraktiver Gegner wie Frankreich, England, Portugal oder Deutschland. Dass Buffon gestern gleich vier Trümmer kassierte, war für mich weniger schwerwiegend als die Tatsache, dass sich Casillas einfach öfter auszeichnete. Besonders in der ersten Halbzeit kamen gefühlte drei Schüsse auf das Tor der Italiener, wobei zwei den Weg ins Netz fanden. Casillas hingegen bewies bei Flanken und Eckbällen, dass er Herr über seinen Strafraum war, entschärfte mehrmalige Weitschüssen und hatte auch aus kurzer Distanz keine Probleme.

Rechtsverteidiger: Theodor Gebre Selassie, Tschechische Republik
Für mich die größte Überraschung dieser Endrunde! Der 25-Jährige spielte alle vier Partien für die Tschechische Republik durch und sicherte sich dank seiner Leistungen auch bereits einen Vertrag bei Werder Bremen. Neben Gebre Selassie hatte ich auch noch Fabio Coentrao und Ignazio Abate in der engeren Auswahl. Im Vergleich mit dem Portugiesen weist Gebre Selassie jedoch eine weit bessere Passerfolgsquote auf (73% statt 61%), zudem konnte er ein Tor seiner Tschechen auflegen.

Innenverteidiger: Mats Hummels, Deutschland
Der Abwehrspieler von Borussia Dortmund rückte im ersten Gruppenspiel gegen Portugal für England-Legionär Per Mertesacker in die Startelf und behielt seinen Platz bis zum Semifinal-Aus. Hummels zahlte das Vertrauen in ihm zurück und überzeugte mit guter Leistung. In 450 Minuten spielte er nur zwei Fouls. 85 Prozent seiner 302 Pässe fanden den Mitspieler. Lediglich beim Führungstreffer der Italiener im Halbfinale machte er gegen Cassano keine gute Figur.

Innenverteidiger: Sergio Ramos, Spanien
Nur der Abwehrchef von Real Madrid hatte beim Passen einen noch besseren Wert: 86 Prozent bei 441 gespielten Bällen sind für einen Innenverteidiger bei dieser Endrunde Topwert! Im Gegensatz zu Hummels, foulte der 26-Jährige deren neunmal und sah zweimal Gelb (Hummels einmal). Auf Grund seiner atemberaubenden Sicherheit und grandiosen Spielweise war er unumstrittener Bestandteil des soliden spanischen Abwehrverbundes. Auch Gerard Piqué (vier Fouls in 570 Minuten, 79% Passerfolg), Holger Badstuber (drei Fouls in 450 Minuten, 82%) oder Pepe (zwei Fouls in 480 Minuten, 69%) wären weitere Kandidaten für die Innenverteidigerposition gewesen.

Linksverteidiger: Jordi Alba, Spanien
Wie sein Pendant am rechten Flügel, sicherte sich auch Jordi Alba während der Europameisterschaft einen Vertrag bei einem neuen Verein. Für 14 Millionen Euro transferiert der 23-Jährige zurück zum FC Barcelona, wo er in der Jugendabteilung wegen seiner geringen Körpergröße aussortiert wurde. Mit einem eindrucksvollen Offensivdrang (ein Tor, eine Vorlage) und neun Flankenversuchen war er der mit Abstand beste Linksverteidiger des Turniers. 84 Prozent angekommene Pässe, bei 501 geschlagenen sprechen eine deutliche Sprache.

Zentralmittelfeld: Xabi Alonso, Spanien
Die eindrucksvollen Zahlen des Ballbesitzes setzen sich im Mittelfeld fort. Vor allem hier erreichen die Leistungen der Spanier schwindelerregende Werte! Angefangen bei Xabi Alonso. Er oder Andres Iniesta? Da schieden sich die Geister. Schließlich sprach die größere Torgefahr für Xabi Alonso. Der Mann von Real Madrid erzielte im Viertelfinale beide Treffer gegen Fankreich und hatte so massiven Anteil am Titel. Iniesta hingegen gelang "nur" die Torvorlage im entscheidenden Gruppenspiel gegen Kroatien. Schließlich entschied ich mich aber doch für den Madridista, weil dieser mit 584 Pässen die zweitmeisten des Turniers spielte. Das sind 97 Ballkontakte pro Spiel. Und weil er defensiv wertvoller war als Iniesta von Barca.

Zentralmittelfeld: Xavi, Spanien
Niemand berührte die Kugel öfter als er. 620 Mal. Zudem flankte das Hirn der Furia Roja 31 Mal, wobei elf Hereingaben den Mann fanden. Zwei Torvorlagen im Finale runden seine Leistung ab. Mehr braucht man nicht zu erwähnen.

Zentralmittelfeld: Andrea Pirlo, Italien
Der Altstar von Juventus Turin erlebt seinen zweiten Frühling. Gerade den Scudetto geholt, führte er die Squadra Azzurra ins Finale von Kiew. Besonders in der Gruppenphase geigte er mit zwei Assits und einem Tor groß auf und war an drei von vier Toren beteiligt. Doch auch in den Ko-Spielen stellte der 33-Jährige unter Beweis wie wichtig er für das Spiel der Azzurri ist und schlug im Match gegen Deutschland vor dem 1:0 den langen Ball auf Cassano. Mit 540 Ballkontakten hatte der Italiener nach Xavi und Xabi Alonso die meisten im gesamten Turnier.

Rechtsaußen: David Silva, Spanien
Mit drei Vorlagen und einem Treffer hatte der quirlige Flügelspieler in der Gruppenphase bei vier von sechs spanischen Toren seine Füße im Spiel. Mit "nur" 297 Ballkontakten in 411 Minuten war er kein so wesentlicher Bestandteil des Tiki Taka wie seine Kollegen Xavi oder Xabi Alonso. Der Mann von Manchester City strahlte aber bei weitem mehr Torgefahr aus und ließ die heftige Kritik an Vicente Del Bosque bezüglich seiner Null-Stürmer-Taktik jeh verstummen. Schließlich setzte der 26-Jährige im Endspiel noch einen drauf und köpfte nach einem herrlichen Spielzug früh zur spanischen Führung ein.

Linksaußen: Cristiano Ronaldo, Portugal
Ich war mich nicht ganz sicher, ob ich ihn in die Auswahl nehmen soll oder nicht. Sein Turnierstart gegen Deutschland und Dänemark war doch sehr bescheiden. In den wichtigen Spielen war er jedoch zur Stelle. Die Niederlande zerstörte der Flügelstürmer mit zwei Treffern im Alleingang und auch das Siegestor gegen Tschechien im Viertelfinale ging auf seine Kappe. Zudem traf er gegen die Niederlande und Tschechien insgesamt viermal den Pfosten. Anteil am tollen Halbfinaleinzug der Selecao hatte der Mann von Real Madrid also allemal.

Mittelstürmer: Mario Balotelli, Italien
Drei Tore gelangen ja mehreren Spielern bei dieser Endrunde. Neben Cristiano Ronaldo hatten aber die drei Buden von Balotelli das größte Gewicht. Die Triplepacks von Alan Dzagoev und Mario Mandzukic halfen ihren Ländern nicht fiel, sie mussten sich nach der Vorrunde dennoch verabschieden. Mario Gomez markierte seine drei Treffer ebenfalls alle in der Gruppenphase und spielte während der Ko-Phase keine große Rolle mehr. Bleibt nurnoch Fernando Torres, der auf Grund seiner geringeren Einsatzzeit offiziell Torschützenkönig wurde, jedoch beim 4:0 über Irland sowie beim bereits entschiedenen Finale traf. Balotelli hingegen kegelte mit seinem eindrucksvollen Doppelpack im Halbfinale die Deutschen höchst persönlich aus dem Turnier und markierte zudem das wichtige Siegtor im entscheidenden Gruppenspiel gegen Eire. In Anbetracht der entscheidenden Signifikanz seiner Treffer und der technischen Eleganz war für mich Balotelli DER Mittelstürmer dieser Euro.

Trainer: Cesare Prandelli, Italien
Für mich ist der commissario tecnico DER Trainer dieser Endrunde. Weil er unterm Strich die problematischste Turniervorbereitung hatte. Mit dem Erdbeben in Norditalien und dem Wettskandal hatte die italienische Seele arg zu kämpfen. Mit dem Mut zu scheinbar überholten Systemen wie dem 3-5-2 und dem 4-4-2 belehrte der Lombarde Europa eines besseren. Zudem meisterte Prandelli im Umgang mit seinen enfants terribles Balotelli und Cassano den Drahtseilakt und bewies pädagogisches und psychologisches Verständnis.

Der traurige Thiago

Die dauernden Wechsel in der Startformation werden Joachim Löw angekreidet, das Ausscheiden im Halbfinale gegen Italien provoziert zu haben. Dass die Squadra Azzurra an jenem Donnerstag aber einen bärenstark Tag erwischt hatte, ging in den deutschen Medien etwas unter. Im Finale waren wiederum für Löws italienisches Pendant, Cesare Prandelli, die Wechsel maßgeblich entscheidend für die finale Niederlage, die Spielertäusche während der 90 Minuten. Wobei dem Commissario tecnico mangelndes taktisches Kalkül kaum vorgeworfen werden darf, Prandelli haderte einfach mit dem Pech.

Bereits nach 21 Minuten musste Chiellini das Feld auf Grund einer Verletzung verlassen - da lagen die Spanier bereits in Front. Für ihn beackerte fortan Federico Balzaretti den linken Flügel. Der einzige gelernte Linksverteidiger im Kader von Prandelli zeigte dabei weit mehr Offensivdrang als Chiellini, was Glück im Unglück zu scheinen vermochte. Die Azzurrini fanden in Fortdauer besser ins Spiel und sollten bis zum Pausenpfiff sogar die tonangebende Mannschaft sein, nach einem atemberaubenden Zuspiel von Xavi erhöhte der aufgerückte Jordi Alba jedoch eiskalt auf 2:0. Prandelli reagierte in der Pause erneut und brachte zum zweiten Durchgang Antonio di Natale für den blassen Cassano. Das Spiel war einem Finale würdig, mit ungewöhnlichen vielen Torraumszenen. Während Italien in Durchgang Eins aber vehement auf den Ausgleich drängte - vor allem durch Weitschüsse und nach Eckbällen -, war es nun die Furia Roja, die zunehmend auf ein drittes Goal drückte. Nach einer Stunde nahm das Spiel leider eine unrühmliche Fügung, durch welche es praktisch entschieden war. Erst betrat Thiago Motta für Montolivo das Feld (57.) um nur vier Minuten später mit einer Oberschenkelverletzung wieder auszuscheiden. Da Cesare Prandelli allerdings keine Wechselmöglichkeit mehr zur Verfügung hatte, war die Squadra gezwungen den Rückstand in Unterzahl aufzuholen. Ein unmögliches Unterfangen. Die Azzurri resignierte, ein frühzeitiges Ende mit falem Beigeschmack in einem bis dato so brilliantem Finalspiel. Dass die Spanier nun nach Herzenslust kombinieren durften, war nicht weiter überraschend. Die Joker Torres und Mata stachen außerdem und erhöhten auf 4:0, ein Ergebnis, das sicher um zwei, drei Tore zu hoch ausfiel.

Freitag, 29. Juni 2012

Zurück in die Zukunft

Die Squadra Azzurra läuft bei dieser Endrunde in überholt geglaubten 4-4-2- und 3-5-2-Systemen auf und bietet dem glorifizierten 4-2-3-1 Paroli. Mit einem fast schon altertümlichen 4-4-2 eliminierte die Elf von Cesare Prandelli gestern, Donnerstag, die deutsche Nationalmannschaft. Besonders die zwei Sturmspitzen, Cassano und Balotelli, machten der Abwehr unserer Nachbarn gehörig zu schaffen.

Das Innenverteidigerduo Bonucci-Barzagli hatte indes im Umgang mit dem statischen Gomez nur wenig Probleme. Auch weil dieser kaum mit Flanken gefüttert wurde. Durch den Einsatz von Kroos, rückte Özil auf den rechten Flügel, verlagerte seinen Aktionsraum aber dennoch oft in die Zentrale. Die in ihm gehegten Erwartungen konnte der Real-Madrid-Legionär, wie schon während der gesamten Endrunde, nicht erfüllen. So entstand rechts massig Raum, den der offensiv schwache Boateng selten füllte. Zudem agierte Pirlo, wie bei dieser Euro schon gewohnt, auf der Sechser-Position, entzog sich so der Bewachung der gegnerischen Mittelfeldabräumer Khedira und Schweinsteiger, sah sich stattdessen den defensiv harmloseren Özil und Kroos gegenüber, und schaffte sich Raum und Zeit zum Verteilen der Bälle.

So entstand auch das Führungstor der Italiener. Özil zwang Pirlo im Zweikampf zum Zurückweichen, setzte allerdings nicht weiter nach. Pirlo hatte nun in der eigenen Spielfeldhälfte Zeit für den genauen Pass auf Cassano. Hummels stellte sich im Zweikampf gegen selben alles andere als reif an, Badstuber verschätzte sich bei Cassanos Flankenball.



Das 2:0 fiel durch einen Konter nach einer deutschen Ecke. Montolivos langer Pass genau auf die Bratze von Balotelli war fein gespielt. Der taktisch entscheidende Faktor war allerdings der Laufweg von Cassano abseits des Geschehens. Mit seinem kurzen Sprint Montolivo entgegen, zog er nicht nur Boateng aus der Deckung, sondern zwang auch Lahm nachzurücken. So stand der deutsche Kapitän beim langen Ball von Montolivo völlig indisponiert und ließ für Balotelli die Lücke offen. Die fehlende Absprache in der deutschen Defensive auf Abseits zu spielen war ein weiterer Faktor.

Mit Thiago Motta und Diamanti brachte Prandelli zwei Spieler die ihre Rollen weit defensiver interpretierten als Montolivo und Cassano; mit di Natale kam schließlich eine gefährliche Waffe für den Konter. Da hätten die Azzurri, gegen nun hoch verteidigende Deutsche, alles klar machen müssen. Deutschland warf nun alles nach vorne, was blieb ihnen auch anderes übrig? Prandellis ragazzi formierten nun zwei Viererketten vor dem eigenen Strafraum, durch die es für die Deutschen aber kein Durchkommen gab.

Es wird nun interessant wie die Italiener im Finale gegen Spanien agieren werden. Paulo Bentos Selecao stand im anderen Halbfinale defensiv hervorragend. Der Hauptgrund lag wohl in der kompakten Anordnung. Vor der Viererabwehr rührten die defensiven Mittelfeldspieler Veloso, Moutinho und Meireles Beton an und ließen sich bei Angriff über die Flanken als zusätzliche Außenverteidiger zurückfallen. Ähnlich agierten die Franzosen im Viertelfinale als Laurent Blanc mit Debuchy, neben Reveillere, einen fast zusätzlichen Rechtsverteidiger nominierte. Portugals Taktik ging eine Stufe weiter, dieses Vorhaben auch auf das Zentrum und die linke Seite umzulegen. Sicherlich eine mögliche Variante, die mit De Rossi, Thiago Motta und Pirlo adaptierbar wäre. Oder eben das 3-5-2 aus der Gruppenphase, das ja bekanntlich auch nicht so schlecht funktionierte.

Mittwoch, 20. Juni 2012

Aus in der Gruppenphase für halb Europa - und mich

Die Gruppenphase ist vorbei. Hoch lebe das Ko-System! Jetzt geht's um die Wurscht! Und meine Freundin atmet nach zwölf Tagen erleichtert auf - genau genommen tat sie es ja bereits am Samstag: Keine zwei Spiele pro Tag mehr. Es müssen die wohl schrecklichsten acht Tage des Jahres gewesen sein. Für sie, die immer diese Fantasie mit dem Ball und dem Messer hat, wie sie so schön sagt. Da ist heute, Mittwoch, für meine Holde ja glatt ein Glückstag. Kein Gekicke flackert über den Bildschirm. Ein Trauertag für mich...

Ein Trauertag war auch der vergangene Samstag. Wie können die Russen nach solchen Leistungen noch ausscheiden? Gut, schon gegen Gastgeber Polen ging der Sbornja in der Schlussphase die Luft aus. Aber gegen Griechenland? Es war ja nicht so als ob sie fix durch gewesen wären. Und ich hatte mich ja sogar mit einem Handicap auf Russland(!) in Anbetracht eines X abgesichert. Aber eine Niederlage? Nein, das ist bitter. Zumal nun mein Guthabenstand auf Null steht. Auf bwin. Nachgefetzt wird aber nichts. Das ganze ist ja dann doch nur eine Geldvernichtungsmaschinerie. Da investiere ich meine wenigen Euros dann doch lieber in reale Sachwerte wie Gerstensaft. In Anbetracht meiner Prognose kann ich mir aber dennoch stolz auf die Schulter klopfen. Die Griechen hatte kaum jemand auf der Rechnung. Vor der Endrunde hegte ich dennoch auf Basis ergründlicher Informationen die Vermutung, dass Hellas nicht aus dem Euroverbund ausscheiden wird - ballesterisch gesehen. Insofern hätte ich es eigentlich besser wissen müssen und doch alles auf die Jungs vom Olymp gesetzt. Anstatt auf Russland.

Dass die Niederlande das Finale eher nicht erreichen würden, dafür standen vor dem letzten Gruppenspiel die Quoten auch nicht gerade hoch. Sicherlich niedriger als dass ich mit meinem Wettguthaben bis zum Finale das Auslangen fände. Unterm Strich kam für die Holländer - wie auch für mich - bereits in der Gruppenphase das Aus. Kahl und beschämend der Auftritt der Elftal. Vor allem offensiv klappte dank der spielschwachen Zentralen van Bommel und de Jong in den ersten 180 Minuten fast gar nichts. Van Maarwijk hatte gegen Portugal ein Einsehen und brachte anstelle seines Schwiegersohnes mit van der Vaart einen zusätzlichen Kreativling. Und siehe da, nach wenigen Minuten hatte Oranje das erste Tor auf der Habenseite. Zugegeben, ich hatte das Spiel nur in der folgenden Zusammenfassung gesehen, die Niederländer hatten den Aufstieg insgesamt aber nicht wirklich verdient. Gegen Dänemark ein Totalausfall, gegen Deutschland nur eine starke Schlussphase. Die Niederländer schwimmen im Strom mit und antizipieren ihr traditionelles 4-3-3 in das gebräuchliche 4-2-3-1. Dabei hätte die Elftal durchaus die spielerischen Mittel im defensiven Mittelfeld nur einen Mann aufzubieten, die 8er-Position offensiver zu interprätieren (van der Vaart) und den Flügelspieler mehr Freiheiten im Offensivspiel zu überlassen, um die fehlenden Qualitäten in der Abwehr zu kaschieren. Insofern hat sich Portugal den Aufstieg mehr verdient. Zumindest mehr als Oranje. Zumal die Selecao gegen die Dänen trotz zwischenzeitlich arroganter Nachlässigkeit  noch etwas Kämpferherz bewies und den Sieg erzwang. Und weil Cristiano Ronaldo die Häme der Vortage nicht auf sich sitzen ließ und klarstellte, dass er es sehr wohl kann.

Weil er es kann. Das antwortete Mario Balotteli auch bei einer Polizeikontrolle, nachdem ihm die Beamten fragten, weshalb ein paar Tausend Pfund auf seinem Beifahrersitz lägen. Und weil er es kann, haute Balotteli die Kugel sehenswert zum 2:0 gegen Irland ins Netz. Die Azzurri damit unspektakulär weiter. Hauptsache durch. Von Sensation redet nun auch niemand mehr. Der dreifache Weltmeister hat den Wettskandal wieder einmal gut verarbeitet. Klammert man Cassanos Zitate einmal aus. Die wirkliche Sensation hätten beinahe die Kroaten vollbracht, der Welt- und Europameister stand bereits vor dem Abgrund. In nur einem einzigen Spielzug manifestierte sich aber schließlich doch das unnachahmliche Kurzpassspiel der Furja Roja. Und gelinde formuliert, ein bisschen Glück, dass der Torrichter ein elfmeterwürdiges Foul an Mandzukic nicht wertete. Weshalb diese zusätzlichen Schiedsrichter überhaupt im Einsatz sind, diese Frage stellte sich tags darauf die Welt noch intensiver. Ich hätte es der fliegenden Festung, Jelavic, der brav rackerte, gegönnt. Auch Stolz schwelgte da etwas mit. Einfach erfrischend, wie Hrvatska aufgeigte. Mehr als die Iberer, die in gewissen Momenten zwar ihre Klasse bewiesen, aber auch sehr viele Fragezeichen hinterließen. Besonders Del Bosques Entscheidung Fabregas als Spitze agieren zu lassen, erscheint mir sehr...spanisch.

Und weil er es auch kann, köpfelte Wayne Rooney die Three Lions zum Sieg. Ja, mit dem Kopf. Zugegeben, sogar ich, der in seiner kurzen Karriere nur ein einziges Kopfballtor vollbrachte - und das ins eigene -, hätte die Kugel in dieser Situation mit der Stirn ins Goal wuchten können. Die postwendende Antwort auf Blochin und Shevchenko, die vor der Partie gegen die Engländer provokant stichelten, was sie mit einem Rooney, der einen Monat ohne Spielpraxis war, wollten. Ironischerweise hatte Rooney noch einen zweiten gefährlichen Sitzer - auf seinem Kopf. Sonst war von der Nummer 10 nicht viel zu sehen. Das reichte aber. England brauchte sein Glück schließlich dann noch für das gesamte Turnier auf als ein Treffer der Ukraine fälscherlicherweise nicht anerkannt wurde. Ausgleichende Gerechtigkeit für Lampards "Tor" gegen die Deutschen 2010? Eher: Fortune für die Equipe Tricolore! Die begab sich mit dem 0:2 gegen fix ausgeschiedene Schweden nämlich selbst nahe an den Rand eines Ko.

Morgen geht es Gott sei Dank wieder weiter. Abwarten sollte es keines mehr geben. Oder vielleicht doch gerade jetzt? Schließlich kann nun jeder Fehler die Heimreise bedeuten. Vielleicht sollten wir an diesem freien Tag also viel mehr alle in die Kirche gehen und eine Kerze für weitere viele Tore bei dieser Euro anzünden. Wer aber will kann sich auch weiter mit der Frage beschäftigen: Und was schaue ich heute Abend fern?!

Mittwoch, 13. Juni 2012

Die einzige Überraschung ist, dass auf meinem Wettkonto noch Guthaben ist

Wer braucht diese ganzen Tiere als Orakel? Mit einem Tintenfisch hat's glaub ich begonnen. Oder einer Kuh? Ich vermeide die Artikeln in den Gratiszeitungen zu lesen, bekomme durch die überdimensional angefügten Fotografien jedoch zwei bis drei Mal wöchentlich den Eindruck, dass es in den Zoos dieser Welt keine anderen Verwendungen für die Viecherln mehr gibt. Weiß eigentlich Greenpeace davon? Ich verlass mich jedenfalls auf meinen - hoffe ich - ausreichenden Sachverstand und ein bisserl Bauchgefühl. In der Online-Tippliga habe ich bis dato überdurchschnittlich viel Erfolg. Und auch wenn's um Bares geht, ist meine Bilanz bei dieser Endrunde - noch - positiv. Was dies anbelangt, bin ich doch sehr österreichisch. Wenn's um nix geht, vorn' dabei. Wenn's ernst wird, kack' ich ab. Doch wie gesagt, mein Kopf und mein Baucherln gehen dieser Tage eine fruchtbare Symbiose ein.

Der Heimvorteil der Polen hat sich nicht wirklich bewahrheitet. Meine Prognose diesbezüglich sehrwohl. Was ich von der Abordnung von Polonia Dortmund halten soll, weiß ich noch nicht so recht. Dem Team helfen Lewandowski, Blaszczykowsky und Piszczek sicherlich weiter, die Heilsbringer zum EM-Titel werden aber andere sein. Aus einem anderen Land. Die Griechen zeigten im ersten Spiel, weshalb ich sie trotz vermeintlicher Außenseiterrolle ins Viertelfinale wähnte. Dass die ersten sechs Minuten gegen Tschechien alles über den Haufen werfen sollten, war so nicht geplant. Die Verletzungen von Avraam (gegen Polen) und Chalkias (gegen Tschechien), sowie die Sperre von Sokrates sind weitere Faktoren, welche zur Schwächung der Defensive beitrugen. Gegen die Russen, die mich mit ihrer spielerischen Attitüde gegen Tschechien komplett überraschten, sehe ich für die Südeuropäer nun keine Chancen mehr um den Aufstieg. Wobei den Jungs von Dick Advocaat in den Schlussminuten gegen Gastgeber Polen extrem die Luft ausging.

Insofern werden auch die Deutschen keine Angst haben, sollten sie im Viertelfinale auf die Sbornaja treffen. Unsere Nachbarn, nach dem gerade gewonnen Spiel gegen die Niederlande, so gut wie im Ko-Modus. Dies auch nicht weiter überraschend, zählt die Elf von Jogi Löw für mich als DER Turnierfavorit, noch vor den Spaniern. Nicht mehr zu den Favoriten zählt mittlerweile Oranje, die im dritten Spiel einen Pflichtsieg gegen Portugal benötigen und ausgerechnet auf deutsche Schützenhilfe hoffen müssen. Van Maarwijks Elf auch heute, Mittwoch, wieder mit einer katastrophalen Leistung. Die Defensive oftmals wie der berühmte aufgescheuchte Hendlhaufen. Und von druckvollem Offensivspiel konnnte keine Rede sein. Der 18-jährigen Willems, der am linken Flügel gegen Deutschland für null Druck sorgte, sei da noch als letztes in die Schuld genommen. Die Routiniers van Bommel und de Jong waren offensiv nicht vorhanden und fühlten sich nur in den seltensten Fällen bemüßigt die gigantische Lücke zwischen Defensive und Offensive zu füllen, in welcher Khedira und Schweinsteiger immerkehrend das Angriffsspiel der Deutschen forcierten. Die niederländische Anti-Leistung wohl DIE Überraschung dieser Euro. Was jedoch die Anerkennung der dänischen Leistung nicht schmälern soll! Schande über mein Haupt! Die Dänen, von mir, als absoluter Außenseiter gehandelt, holten bereits am ersten Spieltag mehr Punkte als von meiner Wenigkeit zugetraut. Und auch heute gegen eine - zumindest in der zweiten Hälfte - arrogante Selecao, angeführt von Cristiano Ronaldo, mit einer braven Leistung. Im Endspiel gegen Deutschland haben Morten Olsens Jungs es nun selbst in der Hand. Die Deutschen quasi fix durch, mal schauen, ob das zum Vorteil wird.

Jelavic to score. Getippt hatte ich es, nur leider kein Geld drauf. Die Quote soll attraktiv gewesen sein. Italien als große Sensation! Che cazzo? Wir reden von Italien! Wettskandal 1982, Wettskandal 2006. Welche große Nation in Form eines Stiefels in jenen Jahren die großen Turniere gewann, soll selbst recherchiert werden. Buffon, Chiellini, De Rossi, Pirlo, Balotelli. Was bei einem X gegen Spanien da die große Sensation sein soll, bleibt mir nur zu erahnen. Gewiss, Weltmeister Spanien ist momentan über die Azzurri zu stellen, dennoch ist ein Remis zwischen diesen beiden Teams kein achtes Weltwunder.

Für mich schon überraschender war die Explosion von Andryi Shevchenko im Spiel gegen Schweden. Einen Burschentraum erfüllen sie ihm, hatte ich geschrieben. Auch er hat mich eines besseren belehrt. Chapeau, Sheva! Vor allem hatte die Ukraine in den letzten Testspielen vor der Endrunde nicht gerade mit Ergebnissen überzeugt. Genauso war meine Überraschung groß als Joleon Lescott England in Führung köpfelte. Die Three Lions waren trotz zahlreicher Ausfälle nicht ganz so hilflos wie erwartet. Die spielerischen Atribute sind dennoch beschrännkt. Man Citys Samir Nasri glich die Führung der Briten dann auch prompt aus, die Franzosen machten in weiterer Folge aber keine Anstalten den Siegtreffer zu erzielen. Was mich ein wenig an der Mentalität der Equipe Tricolore zweifeln lässt. Zum einen, einen potenziellen Konkurrenten einen weiteren Tiefschlag zu verpassen, zum anderen diese Überheblichkeit, dass es gegen die Ukraine und Schweden schon sechs Punkte werden.

In diesem Sinne brauche ich auch weiterhin keine Krake Paul oder irgendwelche Vierbeiner. Immer richtig zu liegen, schaffen selbst die nicht. Reich wird man sowieso anders. Auf meinem Wettkonto ist - noch - Guthaben vorhanden. Mal schauen, ob das auch bis zum Finale so bleibt. Die Quoten stehen schlechter, dass Holland bis dahin noch im Bewerb ist. Bei den Deutschen bin ich mir hingegen relativ sicher. Die Italiener wären zumindest keine Überraschung.

Freitag, 8. Juni 2012

God save the Three Lions!

Roy Hodgson kann es nicht. Zumindest wird es für den ehemaligen Coach von Paul Scharner sehr, sehr schwierig. Rooney fehlt in den ersten beiden Gruppenspielen gegen Frankreich und Schweden, nach denen aber auch schon alles vorbei sein kann, gesperrt. Lampard, Barry, Cahill stehen wegen Verletzungen nicht im Aufgebot. Auf Rio Ferdinand, dessen Bruder von Innenverteidigerkollegen John Terry rassistisch beschimpft wurde, verzichtet der neue Teamchef. Der überhaupt erst zu Amt und Würden kam, nachdem Fabio Capello einer Weisung der FA, John Terry auf Grund seiner rassistischen Äußerungen gegen Anton Ferdinand der Kapitänswürde zu entmächtigen, nicht nachkam. Umso überraschender die Nachnominierung von Liverpools Martin Kelly, mit heuer gerade einmal 12 Premier-League-Einsätzen. Auf Kosten Rio Ferdinands. Nun verließ vor wenigen Stunden auch noch Jermaine Defoe wegen eines familiären Todesfall das Teamcamp der Briten. Und Joe Hart, mutmaßlich der beste Keeper seit Peter Shilton, wird überhaupt nahegelegt, nicht verletzt auszufallen. Die Zweitligatorhüter Robert Green, sein Patzer von 2010 wohl noch jedem lebendig in Erinnerung, und Jack Butland, sanfte 19 Jahre jung, werden eher nicht für ebenbürtigen Rückhalt sorgen können. So klingt die erste Garnitur defensiv mit Johnson, Terry, Lescott und Cole durchaus fähig für den Viertelfinaleinzug zu sorgen. Die Ersatzleute Jones, Baines, Kelly und Jagielka bereiten da aber schon eher Bauchschmerzen. Im Mittelfeld fehlt es den Three Lions eindeutig an Kreativität. Steven Gerrard, der über seinem Zenit hinaus scheint, dessen Liverpool-Kollege Jordan Henderson, nachnominiert für Frank Lampard, und Scott Parker von den Spurs strahlen kaum Torgefahr aus. So wird das englische Team offensiv vor allem über die quirligen Flügelspieler Ashley Young, links, und Theo Walcott, rechts, angreifen. Hier stehen Hodgson mit Millner, Downing und Oxlade-Chamberlain auch adäquate Ersatzleute zur Verfügung. Nur im Sturmzentrum sorgen Danny Welback und Andy Carroll wieder für Rumoren in der Magengegend.

Hätte die Ukraine nun keine gar so besch...eidene Vorbereitung gespielt, würde ich deren Chancen auf den Aufstieg, relativ hoch ansiedeln. Die Kontertaktik Olegs Blochin scheint auf Grund der holprigen Abwehrleistung aber ein Spiel mit dem Feuer. Wirklich überzeugend, zumindest im Spiel gegen Österreich, agierten lediglich Oleg Gusev und Evgeni Konoplianka. Artem Milevsky und Andriy Yarmolenko, beide von Dinamo Kiew, dürfen nicht unterschätzt werden. Andryi Voronin, mittlerweile bei Dinamo Moskau, scheint jedoch ebenfalls über seinem Zenit hinaus. Genauso wie Andryi Shevchenko. Dem wird einfach nur ein Bubentraum erfüllt.

Die Schweden sind ein ganz harter Brocken. Das wusste auch schon Hans Huber. Auf Grund der zuletzt gezeigten Siege gegen Island und Serbien, konnten die Wikinger zumindest Selbstvertrauen tranken. Und 10.000 sind ihrer Mannschaft auch in die Ukraine gefolgt. Die Mischung aus attraktiver Offensive und defensiver Kampfkraft dürfte bei der Mannschaft von Erik Hamren auch stimmen. Defensiv fehlen, bis auf Mellberg und Isaksson, vielleicht die ganz großen Namen, Legionäre von Celtic, Genoa, Bologna, Anderlecht und West Brom können mit einer mannschaftlichen Abwehrleistung aber auch den Turnierverbleib realisieren. Zumal die Angriffskraft der Engländer und Ukrainer nicht unaufhörlich scheint und man selbst mit Ibrahimovic, Toivonen oder Elmander auch immer für einen Treffer gut ist.

Bleibt abschließend noch die Equipe Tricolore, die für mich in dieser Gruppe die Favoritenrolle einnimmt. Interessant wird, wer neben Mexes zentral in der Verteidigung agieren wird. Persönlich hoffe ich, dass hier Koscielny von Arsenal den Vorzug gegenüber Valencias Rami erhält. Und wer den rechten Außenpracker mimen wird, Lilles Debuchy oder der routinierte Reveilliere? Laurent Blancs größte Sorge ist jedoch noch die Position des Sechsers. Nachdem M'Vila und Matuidi mit Verletzungen zu kämpfen haben, ist nun auch ein Einsatz von Diarra ungewiss. Ansonsten hat der Teamchef der Bleus aber die Qual der Wahl. Was das Team auszeichnet ist deren schiere offensive Variabilität im 4-3-3. So können Nasri, Ben Arfa, Valbuena und Malouda nicht nur im Mittelfeld zentral, sondern auch als Außenstürmer agieren. Wo Laurent Blanc mit Ribery und Menez aber auch über absolute Weltstars verfügt. Und schließlich bleiben im Sturmzentrum noch Karim Benzema und Olivier Giroud, die für ihre Klubs je 21 Meisterschaftstreffer erzielten. Viel kann da der Weltmeister von 1998 und Europameister von 2000 also nicht falsch machen.

Vor Monaten war für mich klar, dass in Gruppe D Frankreich und England das Rennen machen werden. Die Jungs von der Insel sind aber gehörig auf der Strecke geblieben und sind nicht mehr viel über den Konkurrenten aus Schweden und der Ukraine zu stellen. Insofern kann sich jedes dieser drei Teams den zweiten Viertelfinalplatz sichern. Müsste ich wetten würde ich wegen der Quote und meinem Bauchgefühl sogar auf die Skandinavier setzen.

Mittwoch, 6. Juni 2012

Italia oder Hrvatska?

The cat is in the sack. Irland qualifizierte sich dank Mister Trapattoni sensationell für die Endrunde. Hätten die Salzburger den alten Mann aus Cusano Milanino mal nicht vor die Türe gesetzt, vielleicht hätte es mittlerweile mit der Champions-League-Teilnahme geklappt. So profitieren die krisengebeutelten Boys von der Emerald Island vom Italiener. Der könnte im entscheidenden letzten Gruppenspiel vielleicht auch zum Zünglein an der Waage werden, wenn seine Landsleute gegen das Inselvolk nicht gewinnen. Und Signore Trapattoni kennt die Squadra vielleicht sogar besser als sein eigenes Team. Viele 'vielleicht', wirklich fix scheint in Gruppe C nur der Aufstieg der Spanier. Die Furia Roja kann, Experten zu Folge, ihr Quartier auf jeden Fall schon bis 1. Juli buchen.

Welches Land mit den Iberern ins Viertelfinale aufsteigt, könnte aber spannend werden. Die Azzurri haben sich mit dem 0:3 gegen Russland nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Der neueste Wettskandal tut sein übriges. Meiner Ansicht, könnte die Position des Angreifers bei den Italienern entscheiden. Balotteli ist, keine Frage, ein Mann von Weltformat. Bezieht man sich rein auf seine technischen Attribute. Mental erinnert er doch stark an einen pubertierenden Rotzbengel. Für mein Gefühl ist der attacante von ManCity zu unkonstant, um der Squadra einen sicheren Platz in der nächsten Runde zu sichern. Es kann aber genauso gut sein, dass er in der Gruppe alles zerbombt, im Viertelfinale aber dann nachlässt. Balotteli ist die wohl größte Wundertüte seit Eric Cantona. Nur mit mehr "Bling Bling". Dass er im Auftaktspiel gegen Spanien die Rote Karte sieht und für 4 Spiele gesperrt wird, nicht ausgeschlossen. Dann gibt es noch Antonio Cassano, der mental mittlerweile ein Level über seinem Sturmkollegen stehen dürfte. Besonders sein Herzleiden dürfte den Mann aus Bari etwas zum Umdenken gebracht haben. Viel genetzt, hat Cassano für Milan im Frühjahr nicht, doch kaum ein Land verfügt über einen solch frischen Weltklassestürmer. Der zweite Antonio im Sturm, di Natale, ist auf nationaler Ebene wiederum ein Torgarant, international bzw. in der Squadra konnte er sein Potenzial aber bisher selten ausschöpfen. Abzuwarten wie sich Sebastian Giovinco von Parma schlagen wird. Seine 15 Tore und 16 Vorlagen in 26 Spielen waren jedenfalls eine Empfehlung für Teamchef Prandelli. Ansonsten bleibt abzuwarten, in wie fern der Wettskandal Einfluss auf die Leistung der ragazzi aus dem bel paese nimmt.

Die Kroaten könnten mit einem Auftaktsieg gegen Irland und einer gleichzeitigen Niederlage der Italiener gegen Spanien, selbige bereits am 1. Spieltag gehörig unter Druck setzen. Das Potenzial haben die Mannen von Slaven Bilic allemal. Mit Rakitic, Badelj, Kranjcar und Modric verfügen die Karos über hervorragende Kreativspieler. Das Turnier seine Lebens könnte Nikica Jelavic spielen. Meines Erachtens verfügt der Ex-Rapidler über hervorragende Anlagen im allseits beliebten 4-2-3-1. Als Solospitze hat der 26-Jährige mit 1,88 Meter Körpergröße einen tollen Körperbau und verfügt über ein hervorragendes Kopfballspiel. Zudem ist er nicht der Langsamste, weiß die Kugel zu beherrschen und hat ein Näschen für den Abschluss. Für mich ist er ein ähnlicher Spielertyp wie Karim Benzema. Die Defensive könnte den Kroaten jedoch auf den Kopf fallen, ist die Innenverteidigung mit Simunic und Schildenfeld doch nicht die schnellste.

Schließlich könnte Eire, wie bereits erwähnt, zum Zünglein an der Waage werden. Im entscheidenden, dritten, Spiel gegen Italien. Viel mehr als einigeln und kontern, erwarte ich von Trapattonis Mannschaft aber nicht. Weniger, weil es "seine" Philosophie ist. Mehr, weil es im Naturell des technisch Unterlegenen liegt. Das ist, wie im Falle der Dänen, aber auch legitim. Dennoch kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass die Iren die Vorrunde überstehen. Aus Gründen der Sympathie sei es ihnen sicherlich vergönnt, rein rational sehe ich aber kaum Chancen.

Und Spanien? Tiki Taka.

Freitag, 1. Juni 2012

So geh'n die Deutschen

Sieben Tage nur noch. Und der Frust nicht dabei zu sein bleibt. Weniger, dass sich Österreich nicht qualifiziert hat, ist dies doch ein ärgerlich gewohnter Zustand. Eher die Tatsache, dass am Eröffnungswochenende zeitlich, rein theoretisch, für mich doch die Möglichkeit bestünde nach Polen oder die Ukraine zu reisen, um live dabei zu sein. Um direkt vor Ort zu sein, ein bisschen EM-Flair zu erhaschen, ein Spiel, womöglich auf Topniveau, im Stadion zu verfolgen und nicht auf einer von der Sonne grell geblendeten Leinwand. Eintauchen in eine andere Kultur, andere Schauplätze. Die letzten Monate hat es mich wieder erfasst, das Fernweh. Hauptsache weg. Am besten an Orte, wo noch niemand war. Oder zumindest an solche, wo sich "normale" Touristen eher selten hinverirren. Lviv oder Kharkiw beispielsweise. Doch schließlich siegt die Vernunft. Der Geldbörse würde solch ein spontaner Trip sowieso Kopfschmerzen bereiten. Und ich würde selbige vom Gemeckere meiner Freundin bekommen. Und Eintrittskarten müssten auch noch organisiert werden. Wobei das für die Spiele in der Ukraine ja nicht so schwierig werden sollte, wie man munkelt. Bliebe die hypothetische Frage nach dem Spiel. Und womöglich die einzige Wahl Niederlande gegen Dänemark. Damit bleibt es schließlich bei Hirnwixerei und hätti, wari, tätti...So geht's im Juli für ein paar Tage nach Salzburg und dann weiter nach München. Nicht ganz so exotisch, aber wie gesagt: Hauptsache weg!

Das deutsche Team und ihr Eröffnungsspiel gegen Portugal wäre, nur der Anmerkung halber, eher keine Alternative für meine gedankliche Euroreise. Man will ja auch mal andere gute Nationen als die deutsche sehen. Und ich muss gestehen, ich empfinde eine ungewohnte Sympathie gegenüber der Nationalelf. Auf den chronischen Minderwertigkeitskomplex gegenüber unserer Nachbarn möchte ich hier nicht weiter eingehen, weil doch eh allseits bekannt. Und ein bisserl dazu gehört er ja auch. "Nur net die Deitschen!" Mein Bauchgefühl aber sagt mir, dass sie es werden. Europameister. Seit Klinsmann zeigt die Mannschaft spielerisch ein Gesicht, dass an einen unbeschwerten und unbekümmerten jungen Mann Anfang seiner Zwanziger erinnert, ähnlich einem Mario Götze oder einem Toni Kroos. Joachim Löw führt diese Linie weiter fort und lässt den grimmigen alten Kauz von früher vergessen. Jens Jeremies, Thomas Linke. Insofern die Sympathien. Die wenigen Schwächen, die mein Bauchgefühl verharmlosen, sind schnell aufgezählt. Die Außenverteidiger. Punkt. Philipp Lahm wird nicht wie bei den Bayern rechts, sondern links seine Flankenläufe unternehmen um solch Treffer wie sein Eröffnungstor bei der WM 2006 zu erzielen. Das allein ist aber nicht das Problem. Eher die geringe Anzahl an Alternativen. Rechts verteidigte gegen die Schweiz der Schalker Höwedes, gestern gegen Israel der Bayer Boateng. Der Dortmunder Schmelzer wird auf seiner linken Seite insofern eher weniger zum Zug kommen. Damit wären die Schwachpunkte der deutschen Elf auch schon durchgekaut. Im Abwehrzentrum kann Teamchef Löw aus Mertesacker, Badstuber, Hummels, Boateng und Höwedes wählen. Dahinter haben unsere Nachbarn mit Manuel Neuer dann immer noch einen der weltbesten Torhüter als Versicherung. Khedira und Schweinsteiger werden auf der 6 und 8 gesetzt sein, ihre Ersatzleute kommen mit Gündogan und Lars Bender aus Dortmund und Leverkusen. Auch beim offensiven Mittelfeldtrio respektive hängenden Spitzen hat Löw die Qual der Wahl. Podolski, Schürrle, Özil, Müller, Reus, Kroos, Götze. Da kann der Schwabe eigentlich nur alles richtig machen. Und als Speerspitze dann den Laziale Klose oder den Bayer Gomez. Sorgen, die Marcel Koller gerne hätte. Dass von den 23 Akteuren zwölf von den Bayern oder Dortmund kommen, kann hinsichtlich der Abstimmung auch nur ein Vorteil sein. Bleibt schließlich noch das verlorene Finale der Münchener gegen Chelsea. Doch gerade aus diesem Grund sehe ich Deutschland als großen Favoriten auf den Pokal. Eine deutsche Trotzreaktion aus dem Bilderbuch. Und irgendwie verspürten wir Österreicher doch immer schon Sympathien für Versager. Da wären die Bayern-Spieler heuer doch prädestiniert.

Deutschlands größter Rivale ist auch gleichzeitig Gruppengegner: Holland. Bei Oranje zeigte sich Coach Bert van Marwijk neulich erleichert, dass die Umstellung vom in den Niederlanden heiligen 4-3-3 auf ein international modernes 4-2-3-1 medial kein hohen Wellen mehr schlägt. Bis auf dass die Außenstürmer lediglich etwas zurückgezogen werden und das Zentrum tiefer steht, gibt es zwischen beiden Systemen aber nur wenige Differenzen. Vielleicht wird Taktik aber auch überbewertet. Überraschender ist da schon, dass der Bondscoach auf die Erfahrung von Urby Emanuelson verzichtet und als linken Deckel lediglich mit dem jungen Jetro Willems von der PSV plant. Die Lücke links hinten, welche Giovanni van Bronckhorst mit seinem Karriereende hinterließ, scheint bis heute nicht geschlossen. Der Rest der Abwehr ist passabel. Die erste Reihe, wie bei vielen anderen Endrundenteilnehmern, liest sich ausgezeichnet. Bei Oranje sind das die Innenverteidiger Heitinga und Mathijsen und Rechtsverteidiger van der Wiel. Dahinter warten mit Bouma, Boulahrouz und Vlaar aber, zwar überdurchschnittliche Spieler, aber keine Leute von Weltformat auf ihre Chance. Besonders in den entscheidenden KO-Spielen, wenn bereits die ein oder andere Gelbe Karte zu Buche steht oder sich die ersten Wehwehchen zeigen, könnten diese Männer zum Zünglein an der Waage werden. Mathijsen zwickt ja schon jetzt der Oberschenkel. Offensiv plagen van Marwijk ähnliche Probleme wie sein deutsches Pendant. Mit Sneijder, van der Vaart, Robben und van Persie verfügen die Niederlande aber über die, meiner Meinung nach, etwas besseren Einzelspieler. Hup Holland! Mit Huntelaar, Luuk de Jong, Kuyt und dem letztens gegen die Bayern aufzeigenden Narsingh hat van Marwijk jene qualitativen Ergänzungsspieler, welche ihm in der Defensive fehlen.

Nicht zu vergessen, in dieser Gruppe, seien die Portugiesen. Wie bei den letzten Turnieren, zählen die Iberer auch heuer wieder als Geheimtipp auf den Titel. Milde belächelt, weil hervorragende Einzelspieler, aber meist wenig Teamleistung. Das 0:0 vom Wochenende gegen Mazedonien negiert diese Annahme kein bisschen. Seit Paulo Bento aber auf der portugisieschen Bank Platz nahm, hat die Selecao acht von 15 Malen zu Null gespielt und netzt pro 90 Minuten durchschnittlich starke 2,25 Tore. Hauptverantwortlich für die starke Abwehr, ist das zentrale Bollwerk, in dem zwei Spieler aus dem Trio Pepe (Real Madrid), Rolando (Porto), Bruno Alves (Zenit St. Petersburg) eingesetzt werden. Garniert wird die Defensive durch Linksverteidiger Coentrao, ebenfalls von Real Madrid, und Rechtsverteidiger Joao Perreira von Europa-League-Semifinalist Sporting Lissabon. Wie schon bei Portugals Gegner Niederlande, ist aber auch bei den Iberern kaum Quantität in der defensiven Qualität vorhanden. Nach vorne hin, werden die Namen klingender, Joao Moutinho, Miguel Veloso, Raul Meireles. Auf den Flügeln Nani oder Quaresma, rechts, und Cristiano Ronaldo, links. Lediglich im Sturmzentrum kommt die Mannschaft von Paulo Bento nicht an die Klasse seiner Gruppengegner heran. Hugo Almeida (Besiktas), Helder Postiga (Saragossa) oder der 20-jährige Nelson Oliveira (Benfica) sollen für die nötigen Goals sorgen. Geiheimtipp ja, vorrausgesetzt die Selecao übersteht die Gruppenphase.

Blieben dann noch die Dänen. Mehr als überraschen können sie eigentlich nicht. Keiner erwartet den Aufstieg, keiner fordert ihn. Laut Buchmachern ist Danish Dynamite der größte Außenseiter aller Außenseiter. Mit einer Quote von 1,11 für ein Ausscheiden in der Gruppenphase, ist dieses für die Jungs von Morten Olsen so gut wie fix. Bei einem 4. Rang Dänemarks gibt's eine Quote von 1,55. Das sind die niedrigsten Odds aller 16 Teilnehmer für diese beiden Ereignisse. Selbst bei Irlands Heimreise nach der Gruppenphase gibts eine 1,14 und bei deren letzten Platz eine 1,80. Sicher kein Vorteil ist der Ausfall von Stammkeeper Martin Sörensen von Stoke City. Der 35-Jährige wurde auf Grund einer Rückenverletzung aus dem Kader eliminiert. Bei der Endrunde wird nun Stephan Andersen zwischen den Pfosten stehen. Der 30-Jährige hält momentan bei 8 Länderspieleinsätzen und erreichte diese Saison mit Evian in Frankreich sensationell den Klassenerhalt. Die Alternativen Kasper Schmeichel von Leicester City, der für Sörensen nachnominiert wurde, und Lars Lindegaard von Manchester United werden auf Grund ihrer fehlenden Spielpraxis eher nicht zum Zug kommen. Das Herzstück der Verteidigung ist sicherlich Liverpools Daniel Agger, der auch die Kapitänsbinde tragen wird. Neben ihm wird Simon Kjaer von der Roma ausputzen. Dass sich die Dänen in dieser hochkarätigen Gruppe wohl darauf beschränken werden, Beton anzurühren und das Spiel zu zerstören, ist auf Grund ihrer mangelnden spielerischen Qualität relativ zu ihrern Gegnern nur legitim. Mit Kahlenberg, Silberbauer, Zimling, Kvist und Christian Poulsen verfügt Morten Olsen über reichlich zähes Fleisch. Rackerer, die bis zur letzten Minuten der Nachspielzeit versuchen werden dem eitlen Gockel Cristiano auf die Knöchel zu treten. Lediglich von Ajax' Eriksen und Nijmegens Schöne, der nach der Euro ebenfalls nach Amsterdam transferieren wird, könnte der Zuseher am ehesten kreative Geistesblitze erwarten. Nicklas Bendtner mit einer bescheidenen Torquote von 0,26 bei seinen Vereinen wird das Kraut auch nicht fett machen.

Insofern stimme ich mit den Bookies überein, dass Dänemark in dieser Hammergruppe faktisch keine Chancen hat. Eventuell können sie, am ehesten noch den Portugiesen, einen Punkt abtrotzen, mehr kann ich mir aber beim besten Willen nicht vorstellen. Die Niederländer bewiesen noch im Herbst mit dem 0:3 gegen ihre Nachbarn, dass sie ihrer nicht würdig. Gegen Paulo Bentos Selecao behält Oranje aber die Oberhand und wird gemeinsam mit ihren Nachbarn das Viertelfinale erreichen. Die Deutschen werden, meinem Instinkt nach, einen Durchmarsch machen und erst im Halbfinale gegen Spanien oder Italien erste wirkliche Gegenwehr verspüren. Diese wird aber dann umso größer. Und dann bin ich gespannt, wie mein Urlaub in München wird.

Der Goldene Schuh

Wäre ich nicht so gut gewesen, gäbe es die Deutsche Demokratische Republik noch immer. Und gäbe es die Deutsche Demokratische Republik noch immer, wäre vielleicht die Sowjetunion nicht in sich zusammengebrochen. Und wäre die Sowjetunion nicht in sich zusammengebrochen, wer weiß, wie wir heute lebten.
Aber ich war so gut, ich habe, von den meisten unbeachtet, Weltgeschichte geschrieben, zum Guten oder zum Schlechten, ich kann es nicht sagen, mir fehlt der Vergleich. Mag sein, dass ich als bescheiden gelte, möglich, dass man eine derartige Vorstellung von mir hat, ich bin es nicht im Mindesten, im Gegenteil, ich bin mir der Tragweite meiner Tat bewusst. Wann immer ich ein Stück jener Mauer, wann immer ich eine Dokumentation über ihren Fall sehe, sehe ich mich aus der Kabine traben und höre die Pfiffe und Schmährufe, die Beleidigungen und Gemeinheiten, das Brüllen, Toben und Keifen, als mein Name durch den Lautsprecher schallt, während ich meine Schultern kreisen lasse.
Sie hassten mich, sie verachteten mich, ihnen trieb es die Zornesröte ins Gesicht, wenn ich bloß erwähnt wurde, mein Anblick verzerrte ihre Züge. Ich sehe mich immer noch an meiner Kette mit dem Kreuz knabbern und den Gummi kauen, als hätte er mich angegriffen, spüre immer noch, wie sich während des Abspielens der Bundeshymne alles in mir zusammenzieht und meine Backenknochen mahlen, ich sehe mich immer noch über das Stadiondach hinaus in den Abendhimmel blicken. Lass mich gut sein, sagte ich, bitte, lass mich so gut sein, wie ich bin.
Ich spielte stets den Bescheidenen, um als der einfache Junge von nebenan zu gelten, als einer von ihnen, einer von uns, kein bisschen anders. Ein Mensch ist ein Mensch, sagen die, die sich keinen Deut um andere scheren; ich wollte als ein solcher Mensch durchgehen und gab immer den, den man sympathisch nennen kann. Aber Sympathie ist keine Kategorie, sympathisch sind die Gewinner diverser Castingshows, der schlechte Durchschnitt, der kleinste gemeinsame Nenner, jenes verheerende Mittelmaß, das niemals übers Mittelmaß hinausragen darf - ja nichts Besseres sein, um Himmels willen nichts Außerordentliches leisten und sich dessen vielleicht auch noch bewusst sein, nichts tun, was gerade als unschicklich gilt, das bringt Sympathie. Sympathie ist die wechselseitige Versicherung der Kleingeister.
Ich wollte Tore schießen
Auf dem Platz war ich nie bescheiden, und auf dem Platz zeigt sich, wie einer wirklich ist, auf dem Platz wird man zur Kenntlichkeit entstellt. Die einen bemühen sich redlich, schuften und rackern, hetzen mit zusammengebissenen Zähnen und zusammengekniffenen Augen über den Rasen, die anderen sehen nur sich, den Blick auf den Boden gerichtet, taub und blind für ihre Mitspieler, Einmannarmeen nach dem selbstausgestellten Marschbefehl. Manche sind dermaßen ehrgeizig, dass es schmerzt, sie in diesem Zustand erleben zu müssen, der Trainer soll sehen, dass sie genau das tun, was er von ihnen verlangt, nach jedem Pass, jeder Grätsche, jedem Einsatz suchen sie seinen Blick, während andere sich kleinmachen, beinahe verschwinden, sich verstecken, wann und wo immer es geht, um sich in den Dienst eines Größeren zu stellen, das einer oder alle sein kann
Ich wollte Tore schießen, mit dem Fuß, dem Kopf, der Brust, der Schulter, meinethalben mit der Hand, gleichwie, hinein damit, über die Linie, mehr als die Hälfte des Ballumfanges, die Hände hochgerissen, die Fäuste geballt, das Trikot ausgezogen und gejubelt. Ich wollte Spiele entscheiden und mich auf den Fotos sehen, ich wollte meinen Namen in und unter den Spielberichten und so viele unterschiedliche Minuten wie möglich zwischen den Klammern dahinter lesen, Marksteine setzen, Tatsachen schaffen, Spuren hinterlassen. Ich wollte der sein, von dem die Mitspieler wissen, dass er auch in der einundneunzigsten Minute treffen kann, ich war der, auf den die anderen hoffen konnten, wenn alles aussichtslos schien. Nicht umsonst gewann ich den Goldenen Schuh, den ein Rumäne kurz für sich reklamieren durfte, nachdem sein Staat alles unternommen hatte, um einen seiner Untertanen zum besten Stürmer Europas zu machen.
Ich habe nie gearbeitet, und dafür hasste man mich, man konnte mir nicht vergeben, was andere sich ständig versagen müssen. Ich habe immer getan, was mir Spaß macht, und damit viel verdient; was ich tat, tat ich leidenschaftlich. Ich bin ein Glückskind, mag sein, auf die Sonnenseite gefallen, vielleicht, aber ich ließ meine Träume niemals fahren, nicht einen Tag lang, ich wollte immer so leben, wie ich lebte. An meinem Lächeln sah man, dass es anders sein kann, mein Gang zeigte andere Möglichkeiten, auch wenn ich schwere Zeiten durchmachte - was ist das gegen einen, der täglich zur selben Zeit früh aufstehen, in ein Büro oder eine Fabrik muss, in einen Umschulungskurs oder auf ein Amt, und doch einmal, irgendwann vielleicht, vor Zeiten, die immer noch seine Träume durchwehen, den Drang nach Freiheit verspürte? Das hat man mir übelgenommen: dass ich nicht auch geschunden und gebrochen und verbogen und in den Dienst einer Sache gestellt wurde, die nichts mit mir zu tun hat.
Ich war an der frischen Luft, ich reiste umher, ich bekam so viele Briefe, dass ich mich vor dem Briefträger schämte, dessen Gehalt man zumindest hätte verdoppeln müssen, ich schoss meine Tore, ich hatte mehr Geld, als ich je zu träumen gewagt hätte, obwohl es mir nicht darum zu tun war. Zwar nahm ich das Geld gern, aber niemals hätte ich mir meine Freiheit nehmen lassen. Ich lebe nur einmal, sagte ich mir.
Arbeiten, sagen sie heute, Trainer und Manager, Funktionäre und Journalisten, arbeiten, arrbeiten, arrrbeiten, selbst ein Großteil der Spieler ist sich nicht zu blöd, das Wort im Mund zu führen; ernste Mienen, vorm Spiegel einstudierte Sätze, ranzige Konserven - nur nichts falsch machen, immer schon im Voraus daran denken, wie es vor dem Fernsehapparat wirken möge, läppische Kostüme, trauriger Fasching. Wir haben hart gearbeitet, wir haben gut gearbeitet, wir müssen weiterarbeiten, wir müssen noch viel mehr arbeiten, wir werden weiter und weiter unermüdlich an uns arbeiten. Taschenspielertricks! Blendung! Kapitulation vor dem gesunden Menschenverstand, der alles andere als gesund ist!
Ich habe nie gearbeitet, und ich bin stolz darauf. Ich wurde von Trainern angebrüllt, wenn mein Sosein sie reizte, Manager sagten mir ihre Meinung, wenn sie ihre Felle den Bach hinunterschwimmen sahen, man pfiff mich aus und schrieb, ich sei ein Prolet, ein Dummkopf, eine faule Sau; auf der Straße rief man mir Unerhörtes hinterher, wenn ich mich umdrehte, sah ich keinen. Aber ich habe nie gearbeitet, darauf bestehe ich, gerade weil ich weiß, was arbeiten heißt und ich mich korrigiere: Ich habe gearbeitet, als Mechanikerlehrling, danach habe ich nie wieder gearbeitet und nie wieder arbeiten wollen. Fußballspielen ist keine Arbeit. Wer es als eine solche sieht, plappert die Gaunersprache nach oder ist als Spieler verloren.
Unlängst, als ich spätnachts nach Hause kam und den Fernsehapparat anknipste, sah ich das Spiel wieder. Siebzehn Minuten waren vergangen, wir führten eins zu null, ich hatte, wie ich in der Einblendung las, in der zweiten Minute ein Tor erzielt, gleich nach dem Anpfiff, vor dem man mich am liebsten vom Rasen getragen, in die Kabine gesperrt oder Schlimmeres mit mir angestellt hätte.
Ich dimmte das Licht, öffnete die Balkontür und legte mich auf die Couch; bisweilen hörte ich Autos auf der Straße vorbeifahren, es nieselte, die Luft frisch, eine Brise aus dem Wienerwald, und während die schwarz-weiß und hellblau-weiß Gekleideten über das Grün liefen, sah ich die zweite Minute vor mir, als ich an der rechten Flanke den Ball bekam und in die Mitte zog; kurz bevor ich am runden Kalkstreifen ankam, der am Sechzehnmeterraum den Laufweg des Tormanns beim Ausschuss begrenzt, nahm ich zwischen zwei Beinen hindurch Maß, flach ins rechte Eck.
Der Rotschopf wartete bereits mit geballten Fäusten auf mich, seine Halsschlagader war so angeschwollen, dass ich mich um sein Herz sorgte, ich umarmte ihn, packte ihn an den Ohren, von hinten und seitwärts kamen die anderen, sprangen mich an, küssten mich auf Kopf und in den Nacken, ich hörte meinen Namen gerufen werden. Ich hörte ihn, aber ich wollte ihn nicht hören, nicht in diesem Moment, nicht aus diesen Mündern.
Ich hatte das Spiel seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen, hatte es immer in mir für mich bewahren wollen, aber als der glatzköpfige Burgenländer im Strafraum fiel, der Gegner hatte ihn nicht einmal angehaucht, aber er fiel gut, knickte ein und rutschte bis über die Torauslinie, setzte ich mich auf und stellte den Ton lauter. Ich sah mich den Ball nehmen, ihn auf den Punkt legen, hörte auf einmal alles leise werden, und mir stockte der Atem, wie er es damals nicht getan hatte. Ich schloss die Augen, als ich Anlauf nahm, mein Herz raste, ich begann zu schwitzen, bitte, murmelte ich, lass mich treffen, lass mich den nicht verhauen, obwohl ich damals nichts davon gedacht hatte; man ist verloren, wenn man bloß daran denkt, danebenschießen zu können. Und Tor, hörte ich, was für ein Tag, was für ein Tag, ich öffnete die Augen und sah mich mehr als zwei Jahrzehnte früher zur Ecke laufen, eine Traube hatte sich um mich gebildet, zweiundzwanzigste Minute, Österreich führt gegen die De De Errr zwei zu null, und der Toni Polster hat endlich das gemacht, was hier die Fußballfreunde gesagt haben, er soll nicht nur in Spanien die Tore schießen, sondern auch für uns. Herrliche Perspektive, wie ein Vogel sah ich mich von oben, langer Anlauf, ein kurzer Verzögerungsschritt vorm Abziehen, linker Fuß, rechtes Eck.
Fußballfreunde
Fußballfreunde. Dreimal wiederholte ich das Wort auf der Couch, immer lauter, immer belustigter, wie lachhaft das in einem Land klang, in dem sich Anhänger nach dem zweiten Tor gegen ihre Mannschaft höhnisch hinter den Gegner stellen und sich über jeden Gegentreffer mehr freuen als über einen Anschlusstreffer. Spanien, ich sah Sevilla wieder vor mir, den Fluss, die Cafés, das Stadion, die Menschen in der heißesten Stadt des Landes, Andalusia with fields full of grain; ich begann leise zu singen, Sonne und Sonne und Sonne, wie geschaffen für mein Gemüt, I have to see you again and again, Lächeln und Lachen fielen mir dort leichter als in Wien, leichter als in Deutschland, es war natürlicher, ich kann es nicht anders sagen, take me, spanish caravan, yes I know you can.
Der einzige Tag, an dem ich in die Arena zum Stierkampf gegangen war, um eine Journalistin zu beeindrucken, tauchte in mir auf, ich sah mich ein paar halbseidene Scherze ausprobieren, sie mit dem Schrecklichen unter uns necken, ehe mir schlecht wurde und ich kein Wort mehr über die Lippen brachte, als in unserem Strafraum Elfmeter gepfiffen wurde. Diesmal ließ ich die Augen offen, sah unseren Tormann nach rechts fliegen und den Ball abwehren; ich liebte ihn in diesem Moment wie niemanden sonst, jenen Menschen, der später für die Freiheitlichen im Parlament sitzen wollte.
Was habe ich mich geschämt für ihn! Will da inmitten der verkommenen Brut sitzen, die gerade bis zu den Grenzen Österreichs blicken kann, den abgeschmacktesten Reden applaudieren und die dünnen Lippen schürzen. Er sprach immer gut, ihn hat man nie einen Proleten genannt, das sei einer, sagte man, der etwas im Kopf habe. Etwas vielleicht, aber was? Wie konnte der eine der andere sein? Wahrscheinlich hatte er die Bundeshymne zu oft zu ernsthaft mitgesungen.
Ich war nicht ganz nüchtern an diesem Abend, in der Pause holte ich eine Flasche Bier, aber es gab keine Pause, nicht bei einer Wiederholung, und auf meiner Couch sah ich alles noch einmal und anders, als ich es in mir trage. Wer mochte um diese Zeit dieses Spiel sehen? Arbeitslose? Studenten? Freiberufler? Disziplinlose Sportler? Verwahrloste Junggesellen? Und weil es mir nie genügte, nur ein Tor zu treffen, weil ich keinem meine Gunst verwehren wollte, schlenzte ich in der dreiundsechzigsten Minute den Ball von halblinks am Tormann vorbei ins rechte Eck, nicht das schönste Tor vielleicht, aber eines, wie es nur die schießen, die unbedingt treffen wollen.
Auf einmal brüllten alle meinen Namen, als wollten sie mich adoptieren, fünfundfünfzigtausend Menschen, die ihn bei Verlesung der Aufstellung nicht skandiert, sondern unter Pfiffen zu begraben versucht hatten, fünfundfünzigtausend jubelten mir zu, als streiften sie die Torprämie ein - abgesehen von den viertausend Ostdeutschen, die in Bussen, Zügen, Trabants und Wartburgs in den Prater gekommen waren und sich gewundert hatten, in Wien kein Begrüßungsgeld zu erhalten. Zum ersten Mal hatten sie ohne Beschränkungen ihren Staat verlassen dürfen, unter der Hand verhandelten die Spieler längst mit westdeutschen Clubs, aber dass sie gegen elf Österreicher verloren, war der Sargnagel, der Todesstoß, das Fanal. Die Mauer war keine Woche zuvor gefallen, der Staat stand noch, aber jetzt, am Abend des fünfzehnten November, war er heillos verloren.
Und jetzt jubelten alle mir zu? Dem, dem sie am liebsten ein Einreiseverbot erteilt hätten, zumindest für jene Tage, an denen die Nationalmannschaft spielt? Córdoba, sagt man in dem Land, das mich erst liebte, als es mich für sich reklamieren konnte, und schnalzt ahnungsvoll mit der Zunge. Aber das ist nichts, ein unwichtiges Spiel, das ein Minderwertigkeitsgefühl besänftigen will. Was ist ein Sieg gegen die BRD, der Österreich nicht im Turnier halten konnte, gegen den Abschuss eines Staates? Wer wollte in einem Staat leben, der nach 90 Minuten Österreich unterliegt?
Während die viertausend überlegten, ob sie überhaupt zurück nach Berlin, Dresden oder Leipzig reisen sollten, ob sie sich nach dieser Schande jemals wieder in Rostock, Karl-Marx-Stadt oder Frankfurt an der Oder blicken lassen könnten, sah ich die einundfünfzigtausend auf der Tribüne Richtung Abgang stürmen, eine Lawine, eine Menschenmasse, eine Körperwalze, die so nah wie möglich ans Spielfeld wollte, um wieder und wieder meinen, den vor dreiundsechzig Minuten gehassten Namen zu brüllen. Ich zeigte ihnen, was ich darüber dachte, kurz, aber bestimmt.
Verzweifelt an euren Leben und beneidet mich um meines, hatte ich ein ums andere Mal gedacht, in euren Köpfen trefft ihr jedes Tor, in der Volltrunkenheit wisst ihr, wie jedes Spiel zu gewinnen sei, vorm Würstelstand tüftelt ihr die Taktik aus. Auch wenn ich mir einbläute, wann immer ich die Gemeinheiten sah oder hörte, es könnte mir egal sein, immerhin hätte ich erreicht, was ich erreichen wollte, meine kleine Freiheit, die im Vergleich zu anderen riesig war, musste ich mir eingestehen, dass ich ein Dünnhäuter war, der nicht so leicht abschütteln konnte, nicht nur nicht geliebt, sondern gehasst zu werden. Was kann ich dafür, dachte ich, wenn ich bescheiden lächelte, dass ihr mit fetten Bäuchen und einer Bierflasche nach der nächsten vor dem Fernseher sitzt und nie so leben wolltet?
Was kann ich dafür, dass ihr einmal, nur einmal, auf der Stelle mit mir tauschen und jederzeit in mich schlüpfen würdet? Ich zu langsam? Ihr keucht schon auf der dritten Stufe im Stiegenhaus. Ich zu dumm? Ihr lauft jedem Rattenfänger hinterher. Ich zu faul? Ihr habt noch nie einen Schritt gewagt, der euch in der Versenkung hätte verschwinden lassen können, zumindest nicht bewusst. Ich habe ein schönes Leben, ich bin Gott, meiner Mutter, meinethalben auch meinem Vater, ich bin mir, dem Glück, dem Zufall, wem auch immer, ich bin dankbar, der zu sein, der ich bin. Ich liebe das Leben, das ich lebe. Ich bezweifle, dass ihr das behaupten könnt.
Die sogenannten Pfeifkonzerte! Die Schneckenkommentare! Die Witze, ich sei vom Tierschutzverein angezeigt worden, weil ich 90 Minuten auf einem Regenwurm gestanden sei! Die Karikaturen und Verballhornungen! Die letztklassigen Kabarettisten, die auf meine Kosten Aufmerksamkeit erheischen wollten! Scheiß drauf, versuchte ich mir einzureden, besser gehasst als unbeachtet.
Aber ich wollte mir keine Elefantenhaut zulegen. Ich wollte nicht gepanzert durchs Leben gehen. Ich wollte nicht sagen: Beim einen Ohr rein, beim anderen raus, weil mein Gehirn und die Verbindungen dazwischen waren, die man einmal - ich immer noch - Seele nannte. Und dann wurde abgepfiffen, zeitgleich hatte die Sowjetunion unsere Rivalen aus der Türkei geschlagen, in ein paar Monaten würden wir zur Weltmeisterschaft nach Italien reisen, wo ich meinen Weg in die größere Welt begonnen und die Hälfte meines Einkommens für Ferngespräche nach Wien ausgegeben hatte.
Auf meiner Couch hörte ich die Stimme des Kommentators brechen, er kämpfte gegen die Tränen an, wies darauf hin, dass auch der vermeintlich Abgebrühte nicht ohne weiteres über dieses Ereignis sprechen könne, und während meine Mitspieler eine Runde durch das Stadion drehten, sich bei den Zusehern bedankten und sich feiern ließen, verschwand ich in die Kabine. Es gab keine Mobiltelefone, ich konnte weder meine Mutter noch meine Freundin anrufen, ich stellte mich unter die Dusche.
Wäre ich nicht so gut gewesen, wäre ich vielleicht nie wieder für Österreich aufgelaufen, selbst der Trainer hatte sich von der Treibjagd gegen mich beirren lassen und mich einige Male auf die Bank gesetzt, was mich heute noch die Augen niederschlagen lässt. Seither stelle ich mir die Hölle als Ersatzbank vor: Während alle anderen tätig sind und etwas wollen dürfen, ist man zum tatenlosen Zusehen verdammt, die anderen sehen, dass man nur zusehen darf und nehmen an, auch wenn sie es besser wissen müssten, man sei zum Mitmischen nicht gut genug. Man ist nicht auf der Rechnung, man spielt keine Rolle, vielleicht werden einem ein paar Minuten gegönnt, vielleicht beginnt man sogar ein wenig zu schwitzen. Die Hölle, das sind die anderen, die einen auf der Bank sitzen sehen.
Im Ohr hatte ich Jubel und Verwünschungen, in der Nase die Kälte eines lang vergangenen Novemberabends, als ich das Wasser wärmer stellte. In mir toste und tobte etwas, das ich lange zu verstecken versucht hatte. Ich putzte die Zähne, um den Biergeschmack loszuwerden, mein Haar fühlte sich anders an, mein Körper hatte sich verändert, ich begann zu pfeifen, um auf andere Gedanken zu kommen. Wer von euch, murmelte ich, die mir heute noch für damals auf die Schultern klopfen, hat mich vor den drei Toren nicht zum Teufel gewünscht? Von heute auf morgen alles anders? Das gab es in diesem Land schon einmal.
Das Wasser prasselte auf mich nieder, ich stellte es noch wärmer und seifte mich ein. Ich spielte Fußball, und ich wusste vom Leben außerdem nicht viel, ich lebte, weil ich leben musste, vom Fußballspiel fürs Fußballspiel. Woher kam das auf einmal? Ich spielte Fußball wie kein zweiter, ich stak voll Witz und Fantasie, ich spielte lässig, leicht und heiter, ich spielte stets, ich kämpfte nie. Ich sang die Zeilen vor mich hin, zwischendurch pfiff ich, ich hatte der Welt ein Schnippchen geschlagen.
Was stand für meinesgleichen schon auf dem Programm? Ein Leben in einer Arbeit, deren Sinnhaftigkeit man sich wie einem kranken Ross einreden muss, wenn es gutgeht, um Almosen betteln und auf Ämtern anstehen, wenn nicht. Ich bin kein Repräsentant von irgendetwas, kein leuchtendes Beispiel, kein Beweis für irgendwelche Chancen; selbst wenn man Talent, Ehrgeiz und Hartnäckigkeit anführte, bleibt ein unauslöschlicher Rest Glück. Ich bin einer aus einer Million.
Ein paar Tage zuvor hatte ich gelesen, nach Politikern seien Fußballer die unbeliebtesten Menschen, dicht gefolgt von Autoverkäufern. Um alle darum kreisenden Streitgespräche in meinem Kopf abzustellen, stieg ich aus der Dusche, band mir ein Handtuch um und buchte einen Flug an die Sonnenküste, nicht zu weit von Sevilla entfernt. Auch wenn der halbstarke Amerikaner, der weder schauspielern noch singen, aber mit beidem Erfolg haben konnte, mit seinem Lied die Mauer zu Fall gebracht zu haben meint - indem ich der Deutschen Demokratischen Republik den Garaus machte, rettete ich den Kommunismus. Ganz unbescheiden: Ich war sehr gut.
Clemens Berger, geb. 1979, studierte Philosophie in Wien, wo er als freier Schriftsteller lebt. Zuletzt erschien der Roman "Das Streichelinstitut", und sein Stück "Engel der Armen" wurde am Staatstheater Darmstadt aufgeführt.



Quelle: Der Standard von Samstag, 26. Mai 2012; Album, Seite 1

Mittwoch, 30. Mai 2012

Im tiefen Osten

Neun Tage nur noch. Ich denke, oder besser: Ich weiß, meine Freundin fiebert der Euro nicht so sehr entgegen wie ich es tue. Dass ab übernächsten Freitag die nächsten 12 Tage täglich zwei Fußballspiele über die Mattscheibe flimmern, kostet ihr bereits jetzt Nerven. Und dabei machte ich mir noch Gedanken, vielleicht nicht jedes Spiel zu verfolgen und stempelte die Eröffnungsgruppe A frühzeitig und unbedacht als subattraktiv ab. Zu wenig Glamour, zu wenig Qualität (relativ zu Deutschland oder Spanien), zu wenig Glanz und Gloria. Zugegeben, es gibt interessantere Teams als Griechenland. Doch gerade diese schiere Balance zwischen den vier Teilnehmern, macht die Gruppe zunehmend interessant.

Gastgeber Polen erhält auf Grund des Heimvorteils schon ein dickes Plus. Dass es aber auch anders geht, bewiesen Österreich und die Schweiz 2008. Das Dortmunder Trio Piszczek-Blaszczykowski-Lewandowski strotzt wegen des Doubles sicherlich vor Selbstvertrauen, danach ist die Decke aber vorallem offensiv sehr dünn. Brozek (Trabzonspor, Celtic) und Sobiech (Hannover) konnten sich bei ihren Klubs mit je 1 Saisontreffer nicht wirklich warmschießen. Lilles Jelen wurde erst gar nicht berücksichtigt, hatte aber auch nicht öfter genetzt. Die Defensive ist sicherlich nicht zu unterschätzen. Mit Wasilewski und Perquis stehen Teamchef Franciszek Smuda zwei erfahrene Abwehrleute zur Verfügung. Und mit Piszczek auf rechts, der bei Dortmund in 32 Ligaspielen 4 Tore erzielte und 8 servierte, einer der offensiv gefährlichsten Außenverteidiger Europas. Abschließend wartet mit Wojciech Szczesny Arsenals Nummer 1 zwischen den Pfosten. Im Mittelfeld verfügen die Polen mit Murawski, Obraniak, Polanski, Dudka und eben Blaszczykowski über einen routinierten Stamm aus den großen Ligen, die geballte Kreativität fehlt aber - mit Ausnahme einzelner Spieler - allen vier Teams.

Polens Auftaktgegner heißt Griechenland. Bei den Buchmachern zählen die Hellenen in dieser Gruppe als größter Außenseiter. Seit Fernando Santos das Zepter als Teamchef aber übernommen hat, haben die Griechen nur eines von 20 Spielen verloren. Die größten Kaliber unter den Gegnern hießen Russland, Polen, Kroatien, Belgien und Rumänien. Gegen letztere setzte es vergangenen November in Altach ein 1:3. Weiters interessant, dass gegen die aktuellen Endrundengegner Russland (1:1) und Polen (0:0) erst in den letzten 14 Monaten gestestet wurde. Mit Papadopoulos von Schalke und Sokratis von Werder sowie dem Olympiakos-Trio Holebas, Avraam und Torossidis verfügt Hellas bestimmt genug Qualität um die eher mauen Offensivgegner in der Vorrunde in Schach zu halten. Im Mittelfeld vertraut Teamchef Fernando Santos mit Karagounis und Katsouranis von Panathinaikos auf erfahrenen Typen, die schon beim EM-Triumpf 2004 mit von der Partie waren. Im Sturm sind auch die Hellenen relativ harmlos besetzt. Mit Konstantinos Mitroglou und dessen 17 Saisontreffer für Atromitos befindet sich nur ein Angreifer im Kader, der dieses Prädikat auch verdient. Der Rest lebt von seiner Vita: Gekas (7 Ligatore), Samaras (4), Salpingidis (5). Den Vogel schießt die Nominierung von Nikos Liveropoulos ab. Der 36-Jährige, der auch zur Euro 2008 Berücksichtigung fand und dort sogar zu einem Einsatz gegen Russland kam, schwimmt seit Jahren mit ein bis vier Länderspielen pro Saison mit und findet dank seiner heuer 7 erzielten Meisterschaftstreffer für AEK erneut einen Platz im EM-Aufgebot. Vielleicht gelingt den jungen Wilden Ninis und Fetfatzidis der internationale Durchbruch?

Auch die Russen leben eher von ihrer defensive Organisation. Vor vier Jahren zog die Sbornaja noch ins Halbfinale ein, das Gros des aktuellen Kader verdient seine Heidelbeeren aber mittlerweile wieder in der heimischen Liga. Von den Offensivkräften kicken nurnoch Pavel Pogrebnyak und Marat Izmailov im Ausland. Alexandr Kerzhakov hat sein Gastspiel beim FC Sevilla bereits nach einem Jahr, und sogar noch vor dem heroischen Semifinalvormarsch, beendet; Roman Pavlyuchenko wechselte nach dreieinhalb eher durchwachsenen Jahren an der White Hart Lane zu Lok Moskau. Und auch Andrey Arshavin verließ die Gunners nach drei Jahren gen St. Petersburg und wird dort auch wohl nach der Euro bleiben. Für eine Goldene Generation dürfte es die letzte gemeinsame Möglichkeit bei einer Endrunde sein Edelmetall zu erringen, stehen die genannten großen Stützen bereits vor ihrem 30. Geburtstag. Ähnlich wie ihre Kameraden Yuri Zhirkov und Aleksey Berezutski, die defensivere Aufgaben erledigen. Alekseys Zwillingsbruder, Vasili, wurde für die Endrunde in Polen und der Ukraine erst gar nicht berücksichtigt, hatte im Frühjahr aber mit muskulären Probleme zu kämpfen. Die Mittelfeldspieler Shirokov, Zyryanov oder Semshov befinden sich mittlerweile sogar schon in ihren Dreißigern - der eine mehr, der andere weniger. Und auch die Abwehrrecken Anyukov, Sharonov und Ignashevich sind zwischen 29 und 35 Jahren alt. Zudem lag 2008 ein bedeutender Trumpf in der Vorbereitung. Diese absolvierte das Team unter Coach Guus Hiddink mit dem Fitnesstrainer Reymond Verheijen. Das niederländische Duo brachte 2002 schon die Südkoreaner in Topform, was sich im Einzug des WM-Semifinals wiederspiegelte. Die Zukunft gehört aber den Jungen. In wie fern die offensiven Jungspunde Alan Dzagoev (21 Jahre, ZSKA) und Aleksandr Kokorin (21 Jahre, Dinamo) aber zum Einsatz kommen oder als bloße Kaderergänzungen fungieren, bleibt abzuwarten. Gerade vom Burschen von ZSKA darf man jedoch einiges erwarten. Im Kasten seien noch Igor Akinfeev und sein langjähriger Ersatz Vyacheslav Malafeev erwähnt. Ersterer, der Iker Casillas des Osten, ist mittlerweile stramme 26 Lenzen alt und steht nach wie vor bei ZSKA Moskau zwischen den Pfosten. Womöglich für immer...

Und schließlich noch unsere Nachbarn aus Tschechien. Für die wird es nicht minder eine Heim-Euro, finden deren drei Gruppenspiele doch alle im südpolnischen Wroclaw statt, nur 280 Kilometer von Prag und 240 Kilometer von Ostrava entfernt. Wenn du dann noch einen Keeper wie Petr Cech zwischen den Pfosten stehen hast, kann dir ja eigentlich nur noch wenig passieren. Es sei denn der Powidl geht aus. Bei den Feldspielern jedenfalls fehlt der Schmackes vergangener Jahre. Mit Michael Kadlec von Leverkusen und Tomas Sivok von Besiktas haben die Tschechen brave Leute in der Abwehr, aber sicher keine Kaliber. Viel wird von Tomas Rosicky abhängen, der bei den Gunners eine gute Saison spielte. Jaroslav Plasil, Tomas Hübschman und Petr Jiracek werden dem ehemaligen Dortmunder bestimmt den Rücken frei halten. Wer vorne die Bälle dann reinmachen soll, bleibt noch ein Fragezeichen. Der Ex-Austrianer David Lafata zerbombt zumindest die heimische Gambrinus Liga und wurde mit 25 Treffern Schützenkönig. Milan Baros und Tomas Pekhart zeigten mit 8 bzw. 9 Buden durchschnittliche Qualitäten. Und Sturmtank Tomas Necid muss bei ZSKA Moskau sowieso froh sein, wenn er mal am Rasen stehen darf.

Insgesamt erwarte ich eher torarme Begegnungen, lasse mich aber gerne eines besseren belehren. Gefühlsmäßig werden mir die Polen etwas zu stark gesprochen. Viel wird für die Ausrichter vom ersten Spiel abhängen. Wenn dieses gegen Griechenland aber nicht gewonnen wird, wird's ganz schwierig. Und weil ich die Hellenen als die defensiv stärkste der vier Mannschaften einschätze, geht mein Gefühl auch in diese Richtung. Bei den Tschechen lastet offensiv, meiner Meinung, zu viel auf den Schultern von Tomas Rosicky. Bei der Sbornaja verteilt sich diese Last auf mehrere routinierte Spieler. Die Erfahrung spricht außerdem für Russland. Deswegen tipp ich auf ein Weiterkommen von Russland und Griechenland.

Montag, 28. Mai 2012

Vielleicht 2016...


Viel gebloggt habe ich in der entscheidenden Phase der Saison ja nicht, das Geschehen in Österreich verdiente es aber auch nicht anders. Der Europacupeinzug der Admira ist aller Ehren wert, Meisterschaft und Cup gehen an Red Bull - alles andere wäre auch höchst erniedrigend für die Salzburger gewesen - und die Nicht-Europacupteilnahem der Austria ist für einen Grün-Weißen Balsam auf der Seele - nachdem wir vergangenes Jahr ähnliches Schicksal erlitten.

Die Titelkämpfe im Resteuropa waren etwas brisanter. Das Manchester-Duell hatte nach 20 Minuten Spielzeit schließlich doch Vorrang gegen Kapfenberg-Rapid. Eines der aufreibendsten Spiele der Geschichte, traue ich mir zu sagen. Manchester City gegen QPR! Nicht Kapfenberg-Rapid.

Cristiano Ronaldos Privatfehde gegen Lio Messi sei natürlich auch erwähnt. Auch gelobt. Juventus setzt sich gegen Milan durch. Auf Milan hatte ich im August noch spekuliert. Gegen einen Juventino, er sollte Recht behalten. Montpellier überflügelt die Scheichmillionäre von PSG. Und Kloppos Dortmunder toppen die letztjährige Meisterschaft mit dem Double.

Der sympathische Falcao zerlegt ein sympathisches Bilbao im Alleingang. Im „wichtigeren“ Finale beweist Chelsea, dass eine einzige Ecke für ein X reicht UND, dass eine englische Mannschaft im Elfmeterschießen sehr wohl gewinnen kann. Und Arjen Robben, dass er keine entscheidenden Elfer schießen sollte.

Und jetzt steht noch die Euro vor der Türe, in 11 Tagen geht’s los! Ich bin spitz wie Nachbars Lumpi. Zu gern würde ich nach Polen reisen, nur das Studium macht mir einen Strich durch die Rechnung. Welcher Mensch setzt eine Prüfung auch einen Tag nach den Halbfinals an?!

Dienstag, 10. April 2012

Trikotwerbung ganz ohne Bauchgefühl

Sponsoren fordern Klarheit: Lohnen die investierten Werbemillionen in den Sport?

RSMG ist ein globaler Marktforschungs-Riese für Sportsponsoring, für den Hunderte Spezialisten in Indien Datenbanken fütternBande oder Trikot, Fußball oder Cricket - die Firma verspricht, die weltweit beste Reklame exakt zu berechnen

Martin Greive, Stefan Merx

Die skeptische Frage bekam Henning Stiegenroth immer öfter zu hören. "Ist Sponsoring für uns wirklich ein gutes Kommunikationsinstrument?" Der Sportmarketing-Leiter der Deutschen Telekom brauchte allmählich eine belastbare Antwort: Rund 50 Mio. Euro im Jahr investiert die Telekom nach Branchenschätzungen in die FC-Bayern-Trikots, die DFB-Partnerschaft und andere Sponsorings. Geld, das man alternativ auch für Plakatkampagnen, Onlinewerbung und TV-Spots ausgeben könnte - oder schlicht streichen. Stiegenroth reagierte mit einem Forschungsauftrag an den Basler Marketingprofessor Manfred Bruhn. "Wir haben uns ergebnisoffen mit 24 anderen Kommunikationsinstrumenten unseres Konzerns vergleichen lassen", sagt Stiegenroth.

Bruhn ließ über 4000 Leute befragen - mit dem Ziel, eine Kausalkette mathematisch nachzuweisen zwischen dem Anblick einer Spielerbrust und dem Bestellen eines DSL-Anschlusses. Ein knappes Jahr später zügelt Stiegenroth seine Freude über die noch unveröffentlichten Studienergebnisse. Er will keine Neider auf den Plan rufen: "Sportsponsoring bleibt nicht nur gut in den Köpfen der Konsumenten hängen. Es beeinflusst auch sehr effektiv deren Verhalten - bis hin zum Kauf. Es hat sich als eines unserer drei effektivsten Kommunikationsinstrumente herausgestellt." Ob man den gesponserten Klub mag, ist nebensächlich. "Die Bayern-Hasser haben immer noch ein stärkeres Kaufverhalten gezeigt als solche, die unser Sponsoring nicht kennen", sagt Stiegenroth. Die Bruhn-Studie ist für ihn Gold wert. Sponsoringleiter anderer Unternehmen hätten gerne Ähnliches in der Schublade.

Der Rechtfertigungsdruck steigt: "Die Schauläufer haben es künftig schwerer", sagt Hartmut Zastrow, Vorstand der Sponsoringberatung Sport+Markt. Allein in Deutschland fließen rund drei Milliarden Euro im Jahr in die Sportwerbung, es ist nach den USA der zweitstärkste Markt, fünf bis zehn Prozent Wachstum sind üblich. Dennoch: Beim Branchenkongress Spobis kreisten die Diskussionen der Etatverantwortlichen um die zentrale Frage: Wie begründen wir wasserdicht die Werbemillionen im Sport, gerade in einer Zeit, da bei VIP-Einladungen vermutlich der Staatsanwalt lauert? Verkaufen wir über Banden mehr Autos, mehr Solarmodule, mehr Felljacken? Welcher Sport, welcher Klub passt zu meiner Markenbotschaft, habe ich im richtigen Kontext eine Story zu erzählen, die emotional verfängt und am Supermarktregal Impulse setzt? Mit zunehmender Professionalisierung im Sportbusiness macht auch die Sponsoringforschung große Fortschritte. Inzwischen werden Augenbewegungen der TV-Zuschauer aufgezeichnet, Millisekunden-Blicke auf Logos ausgewertet und Psychologen zeichnen mit neuronalen Methoden ganze Gefühlslandkarten, auf denen gezielt die hormonell-menschlichen Grundbedürfnisse mit den Abverkaufsbedürfnissen der Sponsoren zur Deckung gebracht werden.

Vorbei die großen Zeiten der Bauchentscheider und Business-Seat-Prasser. Die Antreiber einer neuen Nüchternheit, die die Branche erfasst, sind Unternehmensentscheider, die es aus anderen Werbeformen gewohnt sind, vergleichbare Tausenderkontaktpreise (TKP) zur Basis ihrer Investitionen zu machen. Der TKP gibt an, wie viel Geld in Werbung investiert werden muss, damit 1000 Personen erreicht werden. "Die ganze Industrie ruft nach Transparenz und einer verlässlichen Währung", sagt Sport+Markt-Chef Zastrow, der seit 1986 im Geschäft ist. Er schmunzelt, wenn er zurückdenkt. Da versenkte man Werbeetats im Sport auch mal weitgehend wirkungslos. Solange das Sponsoring aus Verbundenheit mit dem Standort geschah oder immerhin dem Lieblingsverein zugutekam, war der Chef trotzdem zufrieden. Zastrow holt nun zum großen Coup aus. Er geht auf Globalisierungskurs und will der Branche keine Wahl mehr lassen: "Wir werden einen Standard definieren, um Sponsoring zu messen, einheitlich zu bewerten und so auch vergleichbar zu machen mit klassischen Werbeformen", sagt er. Momentan setzten viele Rechtehalter den Wert und damit den Preis eines Sponsorings willkürlich fest. "Wer bisher Mist als Schokolade verkauft hat, bekommt Probleme." Je sparsamer und kritischer die Sponsoren werden, desto besser floriert das Geschäft mit der Business-Intelligenz. Nach dem Zusammenschluss mit dem amerikanisch-australischen Marktforscher Repucom zu RSMG Insights im November 2010 hat Sport+Markt noch mehr globales Wissen auf Lager. Und das soll kapitalisiert werden. Die gemeinsame Datenbank, gefüttert von 450 Analysten im indischen Bangalore, vergleicht Leistungsdaten von Sponsoring auf Knopfdruck - international und quer durch alle Sportarten. Multinationale Unternehmen greifen schon zu: Sie können nun abwägen, was ein investierter Euro an Sichtbarkeit bei den L.A. Lakers bringt, alternativ zu einem Engagement in der indischen Cricket-Liga oder einem Sticker auf einem F1-Boliden. Zastrow will mit seinen RSMG-Boardkollegen Paul Smith und Torsten Zoëga zur Zentralinstanz der Branche werden: Denn das Wissen bestimmt am Ende die Preise. Seit dieser Woche kann das Trio noch zuversichtlicher sein, dass es gelingt, den eigenen Bewertungsstandard global durchzusetzen. Denn RSMG verleibt sich seinen bisher größten Konkurrenten ein: Die IFM Gruppe inklusive der britischen Marktforschungstochter IFM SMS wird nach Informationen der "Welt" unter dem Dach der in Amsterdam gelisteten RSMG-Holding integriert. Damit vollzieht sich nach Jahren erbitterter Konkurrenz und Preiskämpfen eine gravierende Konzentration: RSMG Insight ist nun unangefochtener Branchenführer auf dem Gebiet der Sportmarktforschung und steuert nach eigenen Angaben Projekte in über 170 Ländern. Den IFM-Kauf mitfinanziert hat das New Yorker Private Equity Unternehmen GF Capital, das schon beim Repucom-Merger 2010 Kapital einlegte.

GF Capital residiert in New York im noblen GM-Building, direkt am Central Park. Aus dem 46. Stock schaut Erik Baker auf die anderen Hochhäuser herunter. "Mit der Übernahme von IFM haben wir einen globalen Marktführer geschaffen", sagt Baker. Er ist der Mann hinter den Kulissen, seine Firma hat errechnet, ob sich die Übernahme lohnt. Wie viel Geld GF Capital selbst bereitgestellt hat, verrät Baker nicht. Aber seit 2010 soll das Finanzunternehmen zu rund einem Drittel an der RSMG-Holding beteiligt sein. Die anderen Anteile halten überwiegend Smith, daneben Zastrow und Zoëga. "Keiner der Gesellschafter hat eine alleinige Mehrheit", sagt Zastrow.

Baker gibt sich zurückhaltend, seine Firma redet sonst nicht mit der Presse. Der Sportbusiness-Markt biete große Wachstumschancen, vor allem die Nachfrage nach der Erfolgsmessung werde immer größer, sagt er. "Wir sind für global agierende Unternehmen interessant, die Sponsoring auf der ganzen Welt betreiben", sagt Baker. Er denkt schon über den Sportmarkt hinaus: Die Unterhaltungsindustrie biete große Entwicklungsmöglichkeiten für RSMG. "Wir untersuchen, wie wir am Wachstum dieser Branche teilhaben können", sagt Baker. Auch ein Börsengang könnte laut Zastrow eine Option sein, jedoch erst ab Umsätzen von 200 Mio. Dollar. Für 2011 beziffert Zastrow den Gruppenumsatz auf 60 Mio. Dollar, wovon ein Viertel auf IFM falle. 2012 dürften es 70 Mio. werden. Das Tempo ist hoch: "Mittelfristig halten wir 15 bis 25 Prozent Umsatzwachstum für realistisch", sagt Zastrow. Er baut vor allem auf das schlummernde Potenzial der Sportwerbung in amerikanischen und asiatischen Märkten. Auch sein Kollege Paul Smith lobt den IFM-Kauf, wenngleich der Übernommene zuletzt wirtschaftlich nach Experteneinschätzung nicht sonderlich prosperierte: "Wir sind unserem Ziel näher gekommen, eine globale, transparente Plattform zur Sponsoringbewertung zu etablieren", sagt Smith.

Oliver Kaiser, der IFM 1988 gegründet hat, ist nach dem Verkauf all seiner Firmenanteile guter Dinge. Über den Kaufpreis mag er nach der "freundlichen Übernahme" (Zastrow) nicht sprechen. Mit rund einem Dutzend Mitarbeitern aus seinem Frankfurter Büro baut Kaiser jetzt eine Strategieberatung auf. "Die Konsolidierung war überfällig", sagt er - und sieht seine neue Geschäftschance in der Verknüpfung von Fakten mit strategischem Know-how. "RSMG schafft den globalen Datenpool, wir setzen ihm das Stammhirn auf, mit dem Sponsoren und Rechteinhaber die zentralen Entscheidungsgrundlagen erhalten. Wer allein auf Basis von Reichweiten-Werten und TKPs sein Sponsoring managt, handelt noch immer im Blindflug."

Mit markigen Thesen hatte Kaiser auch schon mal die Verantwortlichen der Fußball-Bundesliga aufgeschreckt. Vom Herdentrieb der Geldgeber war die Rede, von Reizüberflutung der Zuschauer. Deshalb braucht es kreative Ideen. Kaiser nennt ein Beispiel, um zu zeigen, wie sich mit intelligent-subtilen Konzepten viel erreichen lässt: Das Online-Portal fluege.de schaffte einen passgenauen und einprägsamen Auftritt, als es sich die Werbeflächen unter den Skiern von Springern der Vierschanzentournee gesichert hatte. Immer im Moment des Abhebens vom Schanzentisch war "fluege.de" an den Skispitzen hochassoziativ im Bild. Auch an Kaisers neuer Firma hält RSMG eine Minderheitsbeteiligung.

Ob die neue Allianz der Dienstleister auch der Kundschaft schmeckt? Der Kölner Sportökonomie-Professor Christoph Breuer hat Zweifel: "In jeder Branche hat der Abnehmer Nachteile, wenn durch eine fast monopolartige Stellung die Marktmacht auf Anbieterseite liegt." Breuer bemüht die Wettbewerbstheorie: Preise tendierten dann nach oben, der Innovationsdruck dürfte sinken. Eine reine Reichweitenbewertung hält Breuer für viel zu kurz gegriffen: Es geht Sponsoren längst um mehr als bloße Sichtbarkeit am Rande des Platzes. Man möchte Aufmerksamkeit erregen, am Image schrauben, Verhaltensänderungen und Geschäfte anstoßen. Breuer rät dazu, vor allem zu analysieren, welche Werbemittel man nutzt. "Wer es geschickt anstellt, kann auch mit geringer Sichtbarkeit beachtliche Aufmerksamkeit erzielen. Anders herum gilt: Wer keine Aufmerksamkeit erzielt, darf vom Sponsoring überhaupt nichts erwarten." Ein Logo an der Trainerbank könne viel wirksamer sein als eine lange Bandenwerbung. Gerade bei Strafraum-Aktionen haftet der Blick eben am Ball - und kaum anderswo.

Nur dabei zu sein, nützt nicht viel. Ein Sponsor wie Yingli Solar, der 2010 als erster Chinese beim Fußball-Primus Bayern München einstieg, bringt es nach Auskunft der Sponsoringagentur Ledavi heute nur auf magere Erinnerungswerte von 0,1 Prozent. Und wer erinnert sich noch an die Firma Avaya? Der US-Telekomkonzern zahlte 40 Mio. Euro für die Werberechte bei der Fußball-WM 2006 - und ging, weil ohne sinnvolle Strategie gestartet, mitten im schönsten Sommermärchen völlig unter.



Quelle: Die Welt von Samstag, 3. März 2012; Seite 12

Sonntag, 25. März 2012

Land der Äcker

Die Bundesliga-Trainer beschweren sich über die mangelnde Qualität der Plätze in Innsbruck, Kapfenberg und Hütteldorf. Gerade in diesen Minuten kann sich der Zuschauer auf Sky über den unrühmlichen Rasen am Tivoli fremdschämen. Gerechtfertigt wird der inakzeptable Zustand der Plätze mit dem Argument des Fehlens der nötigen finanziellen Mittel. Dass die exemplarisch angeführten Methoden aus England, wo mit Infrarotstrahlern gearbeitet, oder Deutschland, wo der Rasen zweimal pro Saison schlicht gewechselt wird, nicht zwingend notwendig wären, zeigen zahlreiche Beispiele aus unteren österreichischen Klassen. In den Sky-Berichten wurde schließlich eine Summe von 70.000 Euro genannt, welche zur „Restauration“ des Innsbrucker Geläufs nötig wären. Präventiv könnte auch bloß die Rasenheizung für eine einstellige Tausender-Summe pro Tag laufen. Hierfür müssten die Vereine ihre Kader um einen Spieler mit einem Monatsgehalt von etwas unter 5.000 Euro brutto reduzieren. Dies scheint ein uneinbringbarer Kompromiss für eine funktionierende Infrastruktur.

Umsetzungssache

Fünf Jahre wird der Übergangszeitraum andauern bis das von der Uefa initiierte Financial Fairplay (FFP) ab der Saison 2018/19 schließlich in Kraft tritt. Bis dahin dürfen die Ausgaben der Klubs deren Einnahmen weiterhin übersteigen, bis 2015 um 45 Millionen Euro pro Spielzeit. Schrittweise muss dieses Defizit auf 30 Millionen Euro zurückgeschraubt werden. Ab Inkrafttreten des FFP darf der Jahresfehlbetrag maximal fünf Millionen Euro betragen.

Für die wenigsten Vereine außerhalb der Big Five dürften diese Regelungen also von besonderer Relevanz sein. Das wären eine Handvoll weniger Großer aus der Peripherie - Porto, Ajax, Anderlecht oder die russischen Großklubs -, die zum Großteil aber schon jetzt zunehmend auf eigenständige Spielerentwicklung setzen, anstatt fertiges Personal anzuheuern. Und auch Klubs, welche unter Mäzenschutz stehen - Salzburg beispielsweise - dürften die neuen Regelungen tangieren. Lokeren, Nijmegen oder Vitoria Guimaraes dürften auf Grund ihrer bescheidenen Budgets wohl eher keine Kandidaten für Defizite in solchen Höhen sein.

Ob das FFP die finanziellen Exzesse am Transfermarkt in den Griff bekommen wird, wage ich zu bezweifeln. Der Kritikpunkt, welcher für ein reibungsloses Ablaufen teilweise diversifiziert werden müsste, sind die Sponsoringeinnahmen. In Anbetracht des Anteils der Sponsoringeinnahmen an den Gesamtbudgets, ist nur all zu verständlich, dass dieser Posten in die Kalkulation aufgenommen wird. Fakt ist aber auch, dass Gelder von Mäzenen, welche grundsätzlich nicht in der FFP-Einnahmenkalkulatur berücksichtigt werden sollten, als getarnte Sponsoringposten sehrwohl dort auftauchen könnten. Insofern würde dies die Position von Mäzenvereinen am Transfermarkt auf Grund einer nach oben gepushten Ausgabengrenze deutlich stärken.

Sollte es tatsächlich zu diesem Szenario kommen, dürfte der langfristige Trend so aussehen, dass sich immer mehr Vereine in Abhängigkeit eines geldstarken Besitzers oder Konsortiums veräußern. Dies würde zusätzliches Geld in den Markt pumpen und hätte wiederum zur Folge, dass sich die Potenziale sämtlicher Vereine auf einem höheren finanziellen Niveau befänden und letzten Endes das FFP nur ein sehr schwaches Mittel zur Bändigung überbordender Ablösesummen und Gehaltszahlungen wäre. Auf kurze Sicht mag dies dennoch attraktiv wirken, da im möglichen Falle einer Insolvenz ein vermeidlich liquider Geldgeber einspringen könnte. Die Beispiele Portsmouth, oder jüngst Xamax Neuchatel und Servette Genf beweisen jedoch das Gegenteil. Außerdem herrscht stets Ungewissheit - sofern nicht rechtlich vorab geklärt -, wie die in die Höhe getriebenen Gehälter bei einem Rückzug des Eigners weiter finanziert werden sollten.

Grundsätzlich gibt das FFP aber den richtigen Weg vor. Andere Ideen hören sich nett an, schaffen aber entweder im Wettbewerb zwischen den Spielern (Kaderrestriktionen) oder zwischen den Ligen (Salary Caps) massive Benachteiligungen. Was jedoch viel wichtiger wäre, ist ein rigoroses Lizenzverfahren, welches mehrmalige Verluste nicht billigt. Und keinen Unterschied zwischen Tradition und Retorte kennt.