Dienstag, 10. April 2012

Trikotwerbung ganz ohne Bauchgefühl

Sponsoren fordern Klarheit: Lohnen die investierten Werbemillionen in den Sport?

RSMG ist ein globaler Marktforschungs-Riese für Sportsponsoring, für den Hunderte Spezialisten in Indien Datenbanken fütternBande oder Trikot, Fußball oder Cricket - die Firma verspricht, die weltweit beste Reklame exakt zu berechnen

Martin Greive, Stefan Merx

Die skeptische Frage bekam Henning Stiegenroth immer öfter zu hören. "Ist Sponsoring für uns wirklich ein gutes Kommunikationsinstrument?" Der Sportmarketing-Leiter der Deutschen Telekom brauchte allmählich eine belastbare Antwort: Rund 50 Mio. Euro im Jahr investiert die Telekom nach Branchenschätzungen in die FC-Bayern-Trikots, die DFB-Partnerschaft und andere Sponsorings. Geld, das man alternativ auch für Plakatkampagnen, Onlinewerbung und TV-Spots ausgeben könnte - oder schlicht streichen. Stiegenroth reagierte mit einem Forschungsauftrag an den Basler Marketingprofessor Manfred Bruhn. "Wir haben uns ergebnisoffen mit 24 anderen Kommunikationsinstrumenten unseres Konzerns vergleichen lassen", sagt Stiegenroth.

Bruhn ließ über 4000 Leute befragen - mit dem Ziel, eine Kausalkette mathematisch nachzuweisen zwischen dem Anblick einer Spielerbrust und dem Bestellen eines DSL-Anschlusses. Ein knappes Jahr später zügelt Stiegenroth seine Freude über die noch unveröffentlichten Studienergebnisse. Er will keine Neider auf den Plan rufen: "Sportsponsoring bleibt nicht nur gut in den Köpfen der Konsumenten hängen. Es beeinflusst auch sehr effektiv deren Verhalten - bis hin zum Kauf. Es hat sich als eines unserer drei effektivsten Kommunikationsinstrumente herausgestellt." Ob man den gesponserten Klub mag, ist nebensächlich. "Die Bayern-Hasser haben immer noch ein stärkeres Kaufverhalten gezeigt als solche, die unser Sponsoring nicht kennen", sagt Stiegenroth. Die Bruhn-Studie ist für ihn Gold wert. Sponsoringleiter anderer Unternehmen hätten gerne Ähnliches in der Schublade.

Der Rechtfertigungsdruck steigt: "Die Schauläufer haben es künftig schwerer", sagt Hartmut Zastrow, Vorstand der Sponsoringberatung Sport+Markt. Allein in Deutschland fließen rund drei Milliarden Euro im Jahr in die Sportwerbung, es ist nach den USA der zweitstärkste Markt, fünf bis zehn Prozent Wachstum sind üblich. Dennoch: Beim Branchenkongress Spobis kreisten die Diskussionen der Etatverantwortlichen um die zentrale Frage: Wie begründen wir wasserdicht die Werbemillionen im Sport, gerade in einer Zeit, da bei VIP-Einladungen vermutlich der Staatsanwalt lauert? Verkaufen wir über Banden mehr Autos, mehr Solarmodule, mehr Felljacken? Welcher Sport, welcher Klub passt zu meiner Markenbotschaft, habe ich im richtigen Kontext eine Story zu erzählen, die emotional verfängt und am Supermarktregal Impulse setzt? Mit zunehmender Professionalisierung im Sportbusiness macht auch die Sponsoringforschung große Fortschritte. Inzwischen werden Augenbewegungen der TV-Zuschauer aufgezeichnet, Millisekunden-Blicke auf Logos ausgewertet und Psychologen zeichnen mit neuronalen Methoden ganze Gefühlslandkarten, auf denen gezielt die hormonell-menschlichen Grundbedürfnisse mit den Abverkaufsbedürfnissen der Sponsoren zur Deckung gebracht werden.

Vorbei die großen Zeiten der Bauchentscheider und Business-Seat-Prasser. Die Antreiber einer neuen Nüchternheit, die die Branche erfasst, sind Unternehmensentscheider, die es aus anderen Werbeformen gewohnt sind, vergleichbare Tausenderkontaktpreise (TKP) zur Basis ihrer Investitionen zu machen. Der TKP gibt an, wie viel Geld in Werbung investiert werden muss, damit 1000 Personen erreicht werden. "Die ganze Industrie ruft nach Transparenz und einer verlässlichen Währung", sagt Sport+Markt-Chef Zastrow, der seit 1986 im Geschäft ist. Er schmunzelt, wenn er zurückdenkt. Da versenkte man Werbeetats im Sport auch mal weitgehend wirkungslos. Solange das Sponsoring aus Verbundenheit mit dem Standort geschah oder immerhin dem Lieblingsverein zugutekam, war der Chef trotzdem zufrieden. Zastrow holt nun zum großen Coup aus. Er geht auf Globalisierungskurs und will der Branche keine Wahl mehr lassen: "Wir werden einen Standard definieren, um Sponsoring zu messen, einheitlich zu bewerten und so auch vergleichbar zu machen mit klassischen Werbeformen", sagt er. Momentan setzten viele Rechtehalter den Wert und damit den Preis eines Sponsorings willkürlich fest. "Wer bisher Mist als Schokolade verkauft hat, bekommt Probleme." Je sparsamer und kritischer die Sponsoren werden, desto besser floriert das Geschäft mit der Business-Intelligenz. Nach dem Zusammenschluss mit dem amerikanisch-australischen Marktforscher Repucom zu RSMG Insights im November 2010 hat Sport+Markt noch mehr globales Wissen auf Lager. Und das soll kapitalisiert werden. Die gemeinsame Datenbank, gefüttert von 450 Analysten im indischen Bangalore, vergleicht Leistungsdaten von Sponsoring auf Knopfdruck - international und quer durch alle Sportarten. Multinationale Unternehmen greifen schon zu: Sie können nun abwägen, was ein investierter Euro an Sichtbarkeit bei den L.A. Lakers bringt, alternativ zu einem Engagement in der indischen Cricket-Liga oder einem Sticker auf einem F1-Boliden. Zastrow will mit seinen RSMG-Boardkollegen Paul Smith und Torsten Zoëga zur Zentralinstanz der Branche werden: Denn das Wissen bestimmt am Ende die Preise. Seit dieser Woche kann das Trio noch zuversichtlicher sein, dass es gelingt, den eigenen Bewertungsstandard global durchzusetzen. Denn RSMG verleibt sich seinen bisher größten Konkurrenten ein: Die IFM Gruppe inklusive der britischen Marktforschungstochter IFM SMS wird nach Informationen der "Welt" unter dem Dach der in Amsterdam gelisteten RSMG-Holding integriert. Damit vollzieht sich nach Jahren erbitterter Konkurrenz und Preiskämpfen eine gravierende Konzentration: RSMG Insight ist nun unangefochtener Branchenführer auf dem Gebiet der Sportmarktforschung und steuert nach eigenen Angaben Projekte in über 170 Ländern. Den IFM-Kauf mitfinanziert hat das New Yorker Private Equity Unternehmen GF Capital, das schon beim Repucom-Merger 2010 Kapital einlegte.

GF Capital residiert in New York im noblen GM-Building, direkt am Central Park. Aus dem 46. Stock schaut Erik Baker auf die anderen Hochhäuser herunter. "Mit der Übernahme von IFM haben wir einen globalen Marktführer geschaffen", sagt Baker. Er ist der Mann hinter den Kulissen, seine Firma hat errechnet, ob sich die Übernahme lohnt. Wie viel Geld GF Capital selbst bereitgestellt hat, verrät Baker nicht. Aber seit 2010 soll das Finanzunternehmen zu rund einem Drittel an der RSMG-Holding beteiligt sein. Die anderen Anteile halten überwiegend Smith, daneben Zastrow und Zoëga. "Keiner der Gesellschafter hat eine alleinige Mehrheit", sagt Zastrow.

Baker gibt sich zurückhaltend, seine Firma redet sonst nicht mit der Presse. Der Sportbusiness-Markt biete große Wachstumschancen, vor allem die Nachfrage nach der Erfolgsmessung werde immer größer, sagt er. "Wir sind für global agierende Unternehmen interessant, die Sponsoring auf der ganzen Welt betreiben", sagt Baker. Er denkt schon über den Sportmarkt hinaus: Die Unterhaltungsindustrie biete große Entwicklungsmöglichkeiten für RSMG. "Wir untersuchen, wie wir am Wachstum dieser Branche teilhaben können", sagt Baker. Auch ein Börsengang könnte laut Zastrow eine Option sein, jedoch erst ab Umsätzen von 200 Mio. Dollar. Für 2011 beziffert Zastrow den Gruppenumsatz auf 60 Mio. Dollar, wovon ein Viertel auf IFM falle. 2012 dürften es 70 Mio. werden. Das Tempo ist hoch: "Mittelfristig halten wir 15 bis 25 Prozent Umsatzwachstum für realistisch", sagt Zastrow. Er baut vor allem auf das schlummernde Potenzial der Sportwerbung in amerikanischen und asiatischen Märkten. Auch sein Kollege Paul Smith lobt den IFM-Kauf, wenngleich der Übernommene zuletzt wirtschaftlich nach Experteneinschätzung nicht sonderlich prosperierte: "Wir sind unserem Ziel näher gekommen, eine globale, transparente Plattform zur Sponsoringbewertung zu etablieren", sagt Smith.

Oliver Kaiser, der IFM 1988 gegründet hat, ist nach dem Verkauf all seiner Firmenanteile guter Dinge. Über den Kaufpreis mag er nach der "freundlichen Übernahme" (Zastrow) nicht sprechen. Mit rund einem Dutzend Mitarbeitern aus seinem Frankfurter Büro baut Kaiser jetzt eine Strategieberatung auf. "Die Konsolidierung war überfällig", sagt er - und sieht seine neue Geschäftschance in der Verknüpfung von Fakten mit strategischem Know-how. "RSMG schafft den globalen Datenpool, wir setzen ihm das Stammhirn auf, mit dem Sponsoren und Rechteinhaber die zentralen Entscheidungsgrundlagen erhalten. Wer allein auf Basis von Reichweiten-Werten und TKPs sein Sponsoring managt, handelt noch immer im Blindflug."

Mit markigen Thesen hatte Kaiser auch schon mal die Verantwortlichen der Fußball-Bundesliga aufgeschreckt. Vom Herdentrieb der Geldgeber war die Rede, von Reizüberflutung der Zuschauer. Deshalb braucht es kreative Ideen. Kaiser nennt ein Beispiel, um zu zeigen, wie sich mit intelligent-subtilen Konzepten viel erreichen lässt: Das Online-Portal fluege.de schaffte einen passgenauen und einprägsamen Auftritt, als es sich die Werbeflächen unter den Skiern von Springern der Vierschanzentournee gesichert hatte. Immer im Moment des Abhebens vom Schanzentisch war "fluege.de" an den Skispitzen hochassoziativ im Bild. Auch an Kaisers neuer Firma hält RSMG eine Minderheitsbeteiligung.

Ob die neue Allianz der Dienstleister auch der Kundschaft schmeckt? Der Kölner Sportökonomie-Professor Christoph Breuer hat Zweifel: "In jeder Branche hat der Abnehmer Nachteile, wenn durch eine fast monopolartige Stellung die Marktmacht auf Anbieterseite liegt." Breuer bemüht die Wettbewerbstheorie: Preise tendierten dann nach oben, der Innovationsdruck dürfte sinken. Eine reine Reichweitenbewertung hält Breuer für viel zu kurz gegriffen: Es geht Sponsoren längst um mehr als bloße Sichtbarkeit am Rande des Platzes. Man möchte Aufmerksamkeit erregen, am Image schrauben, Verhaltensänderungen und Geschäfte anstoßen. Breuer rät dazu, vor allem zu analysieren, welche Werbemittel man nutzt. "Wer es geschickt anstellt, kann auch mit geringer Sichtbarkeit beachtliche Aufmerksamkeit erzielen. Anders herum gilt: Wer keine Aufmerksamkeit erzielt, darf vom Sponsoring überhaupt nichts erwarten." Ein Logo an der Trainerbank könne viel wirksamer sein als eine lange Bandenwerbung. Gerade bei Strafraum-Aktionen haftet der Blick eben am Ball - und kaum anderswo.

Nur dabei zu sein, nützt nicht viel. Ein Sponsor wie Yingli Solar, der 2010 als erster Chinese beim Fußball-Primus Bayern München einstieg, bringt es nach Auskunft der Sponsoringagentur Ledavi heute nur auf magere Erinnerungswerte von 0,1 Prozent. Und wer erinnert sich noch an die Firma Avaya? Der US-Telekomkonzern zahlte 40 Mio. Euro für die Werberechte bei der Fußball-WM 2006 - und ging, weil ohne sinnvolle Strategie gestartet, mitten im schönsten Sommermärchen völlig unter.



Quelle: Die Welt von Samstag, 3. März 2012; Seite 12