Montag, 27. Juni 2011

„Scheiß EM 2008 2012“ ?

Etwas mehr als elf Monate sind es noch bis zum Anpfiff der 14. Fußball-Europameisterschaft. Einer ganz besonderen. Denn erstmals findet das Turnier im ehemaligen Ostblock statt. In Polen und der Ukraine. So umstritten wie diesmal war eine Endrunde allerdings noch nie. Weniger die politischen Verhältnisse spielen für die Unruhe eine Rolle - wobei in der Ukraine auch hier nicht alles glatt läuft -, als die infrastrukturellen und ökonomischen.

Wie schon bei der letzten Euro in Österreich und der Schweiz, wird es auch diesmal acht Austragungsorte geben, die sich zu je vier auf beide Gastgebernationen
verteilen. In Polen sind dies Warschau, Posen, Breslau und Danzig, in der Ukraine Kiew, Donezk, Lemberg und Charkow. Die Kooperation der beiden Nationen offenbarte schon im Anfangsstadium Schwächen, denn noch geraume Zeit nach der Vergabe sicherte man sich mit den potenziellen Ausweichorten Krakau, Chorzow, Odessa und Dnjepropetrovsk gegen etwaige Bauverzögerungen ab. Dies sollte, wie sich später herausstellte, auch seine Gründe haben. Die reibungslosesten Bauten fanden in Donezk und Charkow statt und wurden bereits im August bzw. November 2009 (wieder)eröffnet. Während im Stadion von Metalist Charkow großteils Um- und Ausbauarbeiten vorgenommen wurden, bekam Shakhtar Donezk mit der Donbas Arena einen neuen Tempel hingestellt. Ein Zeitproblem in Bezug auf die Euro 2012 konnte gar nicht aufkommen, war mit Rinat Achmetow, dem reichsten Mann der Ukraine und gleichzeitig seit 1996 Präsident von Shakhtar, ein einflussreicher Mann Strippenzieher des Projekts.

Die anderen zwei Neubauten in Kiew und Lemberg entwickeln sich hingegen immer mehr zur Farce. Der Fertigstellungstermin des Stadions in Lemberg wurde auf Grund mehrmaliger Finanzierungsprobleme zuletzt auf Ende 2011 verschoben. Aktuell stehe man bei 64 Prozent Baufortschritt. Die Kosten für den Bau, an dem die österreichische Alpine beteiligt ist, verdoppelten sich von anfänglichen 85 Millionen Euro auf mittlerweile knapp 200 Millionen Euro. Das weit größere Problem für die Ukraine stellt das Olympiastadion in Kiew dar. Der Riesenkomplex mitten in der Hauptstadt wurde von Grund auf neugebaut. Der Vertrag mit der taiwanesischen Baugruppe Archasia Design Group wurde im Juni 2008 auf Grund mangelnder Erfahrung im Baugewerbe gekündigt. Mittlerweile sind zweitausend Arbeiter zwölf Stunden täglich mit den Bauarbeiten beschäftigt. Momentan geht man für die Fertigstellung von einem Termin zwischen Ende 2011 und März 2012 aus. Die einst kalkulierten Kosten von 200 bis 300 Millionen Euro erhöhen sich auch hier auf, so wird geschätzt, bis zu 600 Millionen Euro. Im Jahr 2008 wurde bereits öffentlich spekuliert, dass die Ukraine teilweise von der Gastgeberrolle zurücktreten müsse. Sogar ein Einspringen Deutschlands als Co-Gastgeber stand im Raum.


Die Bauarbeiten in Polen laufen indes etwas besser voran. Das Stadion in Posen wurde nach seiner Renovierung, welche 147 Millionen Euro verschlang, bereits im September 2010 wiedereröffnet. Und auch die Arbeiten im Städtischen Stadion von Breslau sind so gut wie erledigt. In Polen treiben die Spielstätten in Danzig, aber noch mehr jene in Warschau, den Verantwortlichen Schweißperlen auf die Stirn. Eigentlich sollte die Arena in Danzig, mit ihrer einzigartigen Goldfassade, mit dem Länderspiel Polen-Frankreich Anfang Juni eröffnet werden. Die Arbeiten, auch hier ist die Alpine am Bau beteiligt, zogen sich aber dermaßen in die Länge, sodass das Spiel kurzerhand ins Wojska Polskiego von Legia Warschau verlegt wurde. Das polnische Pendant zum Olympiastadion von Kiew ist das Nationalstadion von Warschau (Foto). Die Kosten sind auf satte 315 Millionen Euro explodiert; auch hier ist die Alpine am Bau beteiligt. Das große Manko ist die schwache Organisation am Bau selbst. Lange Zeit waren zu wenige Arbeiter beteiligt; zudem pfuschten Subunternehmen bei der Installation der Elektronik. Eigentlicher Fertigstellungstermin sollte Juni 2011 sein. Mittlerweile geht man von einem Bau bis Feber 2012 aus. So wird auch das Länderspiel Polen-Deutschland am 6. September woanders stattfinden.

Die Problematik mit den Stadionbauten ist seit Südafrika 2010 keine neue. Und schlussendlich werden bis zur Eröffnung auch sämtliche Stadien einsatzbereit sein. Diffiziler gestaltet sich die Situation außerhalb. In Relation zur Landesfläche sind Polen und die Ukraine vergleichsmäßig schwach vernetzt. Insgesamt hatten die Verantwortlichen in der Ukraine anfangs drei Milliarden Euro für Infrastrukturprojekte eingeplant, diese Zahl aber rasch auf zehn Milliarden erhöht. Auch weil die Kosten für die Flughäfen in Donezk und Lemberg mit 500 Millionen Euro um mehr als 50 Prozent höher ausfielen als kalkuliert. Das neue Terminal am Airport Borispol in Kiew soll noch dieses Jahr in Betrieb genommen werden. Weiters wollen die Ukraine 3.000 Kilometer neue Autobahnen und Schnellstraßen errichten, sowie das U-Bahnnetz in der Hauptstadt ausbauen. Wie viel von diesen ehrgeizigen Vorhaben tatsächlich noch realisiert werden bleibt abzuwarten. Langfristiges Nutzen für die Wirtschaft des Landes erwartet sich mangels qualitativer Arbeit nur eine Kleinzahl der Bevölkerung.

Die Situation in Polen ist eine ähnliche. Erst diesen Monat wurde der Vertrag mit dem chinesischen Bauunternehmen Covec gelöst. Die Asiaten erhielten für ihr Angebot von 320 Millionen Euro den Zuschlag für das Teilstück der A2 zwischen Lodz und Warschau. Es sollte die erste Bauinvestition einer chinesischen Unternehmung in Europa werden. Covec konnte aber die beschäftigten Subunternehmen nicht zahlen, weshalb Bagger und Betonmischer stillstanden. Ein konstruktiver Lösungsvorschlag seitens der Chinesen wurde nicht präsentiert, sodass Covec nun eine 188,5-Millionen-Euro teure Entschädigungszahlung bevorsteht. Mittlerweile haben die Chinesen den Zuschlag für den Bau eines ungarischen Flughafens erhalten. Indes resignierte Polens Premierminister Donald Tusk und ließ verlautbaren, dass die Autobahnen bis Juni 2012 vielleicht nicht fertig, aber wenigstens befahrbar sein würden. Von den 2007 versprochenen 21 Milliarden Euro - von denen 8,4 Milliarden aus dem Strukturfonds der EU stammen (Gelder, die der Ukraine als Nicht-Mitglied nicht zur Verfügung stehen) - für Straße, Bahn und Flug, wurden bislang erst 50 Prozent ausgereizt. Der Bau von 1.000 Kilometern Autobahn und 2.000 Kilometern Schnellstraße verzögert sich laut Regierungsangaben auch auf Grund der vergangenen Flutkatastrophen und des strengen Winters. Auch die wichtige Verbindungsstrecke im Südosten zwischen Tarnow und der Ukraine ist gefährdet. Während wohl nur 60 Prozent aller Schnellstraßen tatsächlich erbaut werden, geht die Entwicklung des Flugverkehrs - mit Ausnahme des Flughafenprojekts in Bialystok, dem der Umweltbescheid wieder entzogen wurde - planmäßig voran. Der Modlin Airport wird ab 2013 sogar für 1,3 Millionen Passagiere das Tor zur Welt oder nach Polen sein; der Flughafen in Danzig wird renoviert, der Flughafen in Lublin (Kosten: 100 Millionen Euro) ebenfalls bis zu 1 Million Passagiere abfertigen. Darüber hinaus werden in Polen als auch in der Ukraine insgesamt an die hundert Hotels benötigt, wobei bereits 2008 renommierte Hotelketten wie die französische Accor-Group oder die britische InterContinental Hotels-Group Bestrebungen verlautbaren ließen. Dennoch sind Schätzung zu Folge ein Drittel aller Infrastrukturprojekte gefährdet.

Ein zusätzlicher Stein auf dem Weg einer erfolgreichen Abwicklung des Turniers ist die politische Lage in der Ukraine. Durch die „Orange Revolution“ kam 2004 mit Viktor Juschtschenko ein westlich orientierter Präsident an die Macht. In der Folge zerfiel die liberale Bande zwischen Juschtschenko und Premierministerin Julia Tymoschenko aber. So wurde 2010 Viktor Janukowytsch doch noch ins Präsidentenamt gewählt. Janukowytschs Kurs bedeutete wieder eine Annäherung an Russland, die Zentralisierung und Stärkung seiner Machtposition und zunehmende Zensur der Presse. Zudem ging er hart gegen Oppositionelle vor, wie aktuell gegen Ex-Premierministerin Tymoschenko, die sich wegen Amtsmissbrauch vor Gericht verantworten muss. Anfang dieses Jahres wollte seine Regierung zudem personelle Umstrukturierungen im ukrainischen Fußballverband (FFU) erzwingen, weshalb die Uefa mit einem Ausschluss aus dem Verband drohte, der gleich bedeutend mit dem Entzug der Gastgeberrolle gewesen wäre. Erst kurz vor Auslaufen des Ultimatums dementierte der FFU via Fifa solch ein Vorhaben der Politik.

Dass weitere strukturelle Unebenheiten, besonders in der Fanarbeit in Polen (Stichwort: Hooligans) vorhanden sind, muss wohl nicht näher angeführt werden. Der volkswirtschaftliche Nutzen solcher Großereignisse bleibt umstritten, zumal die Projektvergabe wegen des Mangels an Know-how und Ressourcen großteils an ausländische Unternehmen geht. Im besten Fall kann die Arbeitslosigkeit kurz- bis mittelfristig gesenkt werden. Besonders tragisch, wenn die Neubauten nach dem Turnier nicht einmal adäquate Verwendung finden, wie in Südafrika. Dass mit der Euro 2016 in Frankreich auch wieder ein Land die Veranstalterrolle inne hat, die bereits die Infrastruktur für solch ein Turnier hat, ist wohl ein Sieg der Vernunft. Abzuwarten bleibt der längerfristige Trend. Die kommenden Weltmeisterschaften in Russland und Katar sorgen für Kopfschütteln. Besonders wenn das Vorzeigeland England in der Bewerbung ausgestochen wird. Nachdem sich die Türkei bereits für 2008 (mit Griechenland) und 2016 beworben hatte, könnte es schließlich für die Euro 2020 klappen. Die Konkurrenz wäre mit möglichen Gegnern wie die Niederlande und Belgien (diesmal beide separat), dem Duo Tschechien-Slowakei oder der Troika Bosnien-Kroatien-Serbien bestimmt klangvoll. Ob ein Endrundenspiel in Antalya im Juni so sinnvoll ist, bleibt jedem selbst überlassen.

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