Montag, 25. Juli 2011

Josef Hickersberger: „Ruhe noch nicht gefunden“

Hickersberger erzählt der „Presse am Sonntag“, warum er sich für Abu Dhabi entschieden hat, was im Fußballstadion los ist, wenn ein Ferrari verlost wird, und dass er immer noch auf der Suche ist.


Was treibt einen Fußballtrainer dazu, immer wieder im arabischen Raum zu arbeiten?

Josef Hickersberger: An erster Stelle steht das Geldverdienen. In dieser Region kann man ein Vielfaches von dem, das in Österreich möglich ist, verdienen. Und ich brauche dort keine Steuern zu bezahlen. Es gibt viele Vorurteile, die Vereinigten Arabischen Emirate bieten nicht nur Wüste und Hitze. Man kann dort gut leben, die Großstädte bieten jeglichen Komfort und Luxus. Es ist vielleicht nicht zu jeder Jahreszeit für uns Europäer angenehm dort; im Sommer wird es unerträglich heiß. Aber ansonsten ist das Klima wunderbar. Ich möchte mit den Kollegen in Österreich nicht tauschen. Und ich brauche nie Schnee zu schaufeln, bei Wind, Wetter, Eis und Schnee auf dem Platz stehen– oder Ketten montieren.

Sie haben nie bereut, nach der Fußball-EM in der Schweiz und in Österreich wieder in die Wüste geflohen zu sein?

Ich bin nicht geflohen, ich habe mir das selbst so ausgesucht. Abu Dhabi bietet alles, man kann sich dort wirklich wohlfühlen. Geld ist dort in einem Ausmaß vorhanden, das kann man sich gar nicht vorstellen. Das Problem ist nur, dass man zu Übertreibungen neigt. Ich denke nur an die Skihalle oder an Eislaufplätze in Einkaufszentren.

Wie spielt sich Ihr Leben abseits des Fußballs ab?

Man muss sich in so einem Land schon beschäftigen können. Kultur wird im Vergleich zu Österreich kleingeschrieben. Es gibt keine Oper, kein Theater. Nur hin und wieder Ausstellungen im Emirates Palace. Ich spiele Golf, lese viel, halte mich dank Internet auf dem Laufenden. Einfältige Menschen könnten da schon einen Kollaps bekommen. In Wahrheit ist man auf sich allein gestellt, und man muss sich anpassen können. Auch als Trainer. Andere Länder, andere Sitten. Das endet bei den Trainingszeiten. Es gilt Gebetszeiten oder den Fastenmonat zu respektieren. Man muss sich mit Sitten und Bräuchen beschäftigen, auch mit dem Glauben hier. Ich selbst bin zwar getauft und in Mariazell gefirmt, aber ich bin kein praktizierender Christ, ich bin eher Atheist. Aber bei mir genießt jeder große Bewunderung, der glauben kann.

Inwieweit hat der Arabische Frühling die Region verändert?

In Abu Dhabi ist alles ruhig und sicher. Aber ich bin froh, dass ich nicht mehr in Bahrain oder in einem anderen Land arbeite.

Ist Abu Dhabi eine Art goldener Käfig?

Wenn man so will, dann ist es ein goldener Käfig. Aber wie gesagt, ich bin nicht aus Österreich geflüchtet. Ich wollte Teamchef bei der EURO 2008 sein. Weil ich geglaubt habe, dass wir uns für das Viertelfinale qualifizieren können. Ich habe fest daran geglaubt, und ich habe nachher beim ÖFB keine Perspektive mehr gesehen. Meine Ära in Österreich war allerdings kein Irrtum. Nur hätte es für längere Zeit keinen Sinn gehabt. Ich habe keine Chance auf eine erfolgreiche Qualifikation gesehen. Weder für eine WM, noch für eine EM. Das hat sich leider bisher auch bestätigt. Also habe ich die Variante der Altersvorsorge gewählt. Es war die richtige Entscheidung, noch einmal in den arabischen Raum zu gehen.

Als was sehen Sie sich dort? Als eine Art Fußballmissionar?

Auch nicht. Diese Länder dort machen Fortschritte. Aber das funktioniert im Fußball nicht so schnell. Zumindest nicht so schnell, wie sich die Scheichs das erwarten. Dabei unternehmen sie größte Anstrengungen. Viele Stars hat man bereits geholt, auch ein Pep Guardiola (Anm.: derzeit Barcelona-Trainer)war schon in der Wüste. Und jetzt kommt ein Diego Maradona als Trainer. Auf diesen Auftritt bin ich schon gespannt. Ich vermute, dass er auch eine fantastische Mannschaft zur Verfügung gestellt bekommt.

Ihr Verein, Al-Wahda, muss hingegen ein wenig sparen...

Das Trainingslager in Österreich wurde gestrichen. Man muss das anders sehen: Mein Urlaub verlängert sich. Wir werden um den Titel nicht mitspielen können. Obwohl einheimische Spieler gut verdienen können. Bis zu 400.000 Euro netto. Aber wir mussten den Kader reduzieren, um Kosten zu sparen.

Von der damaligen Fußballnationalmannschaft Österreichs ist heute nichts mehr übrig geblieben. Schmerzt das?

Nein, überhaupt nicht. Die EURO war trotzdem ein Erfolg, die beste Werbung für österreichische Spieler.

Die Fußball-WM 2022 wird in Katar ausgetragen. Ein Fehler?

Das bedeutet für Katar einen riesigen Imagegewinn. Wer kennt denn Katar in Europa wirklich? Das wird für dieses kleine Land eine einmalige Chance, man kann sich nachhaltig der Welt präsentieren. Ich bin davon überzeugt, es wird eine großartige WM dort. In den Stadien sehe ich keine Probleme – aber man kann eben nicht das ganze Land klimatisieren. Für die Fans wird das nicht einfach.

Sie verteidigen also die Entscheidung, dass die Fifa die WM an so ein Land vergeben bzw. verkauft hat?

Zu den Begleitumständen kann ich nichts Konkretes sagen. Das ist Sache der Fifa.

Operieren die Scheichs im Fußball so ähnlich wie Red Bull? Gibt es da überhaupt noch Unterschiede?

Also Didi Mateschitz hat da sicher mehr Sachverstand. Was im arabischen Raum fehlt, das ist die Geduld. Man hat zu wenig Erfahrung. Darum wechselt man Trainer und Spieler wie die Socken. Darum bin ich dabei, unsere Lage im Verein auch klar darzulegen. Denn die kommende Saison wird schwierig. Topfavorit ist und bleibt Al-Jazira Club. Und dann kommt Al-Wasl mit Diego Maradona. Und wir haben einen neuen Präsidenten, da weiß man nie, was passiert. Wir müssen das Saisonziel neu definieren. Am 1.August ist Trainingsbeginn, am 10.September findet das Supercup-Finale statt, dann wissen wir mehr.

Interessiert der Fußball die Menschen in den Vereinigten Arabischen Emiraten überhaupt?

Die Spitzenklubs haben schon 20.000 Zuschauer. Vor allem dann, wenn in der Pause ein Ferrari verlost wird. In diesem Raum gibt es nur Autofreaks. Nachwuchsprobleme gibt es im Fußball keine, es herrscht reger Zulauf. Vor allem aus ärmeren Familien kommen viele junge Spieler. So hoffen, ihren sozialen Status verbessern zu können.

War an den Gerüchten, Sie könnten nach Österreich zurückkehren, etwas dran?

Es hat nur ein Gespräch mit Rapid gegeben. Das war's. Jetzt ist mein Sohn Tommy in Hütteldorf Assistenztrainer. Ich hoffe, Rapid hat bald wieder Erfolg.

Liegt Ihnen Rapid näher als die Austria?

Ja, Grün-Weiß liegt mir mehr am Herzen. Außerdem bin ich einmal draufgekommen, dass die Austria zwischen 1970 und 1972 meine Pensionsbeiträge nicht bezahlt hat. Das geht natürlich gar nicht...

Ihre schönsten Erinnerungen im Fußball?

Die WM 1978 in Argentinien gehört sicher dazu – aber nicht wegen Córdoba. Das können wir doch alle nicht mehr hören. Oder die WM in Italien 1990 als Trainer, der Meistertitel mit Rapid, die Auftritte in der Champions League. Oder das deutsche Pokalfinale. Ein unglaubliches Erlebnis war die EURO 2008, das war Gänsehaut pur. Allein wegen der Begeisterung war es das wert. Wobei die Jahre davor wirklich nicht einfach waren. Und ich würde aus heutiger Sicht wieder alles genauso machen, würde nichts ändern.

Weil Sie ein ständiger Suchender sind?

Wo komme ich denn in Österreich hin? Nach Innsbruck, Graz und Ried. Und wenn ich Glück habe, dann darf man im Europacup reisen. Bei meinem Verein Al-Wahda bin ich privilegiert. Ich war in Petra, Damaskus, Taschkent und Papua-Neuguinea. Da geht's ab mit dem Royal Jet. Ich profitiere also auch persönlich. Ich habe Sachen erlebt, die kennen andere höchstens vom Hörensagen.

So wirklich sesshaft sind Sie bisher noch nirgends geworden.

Ich habe meine Ruhe noch nicht gefunden. Ja, ich bin unsesshaft.

Privat auch, oder?

Ich bin nicht geschieden. Ich lebe derzeit von meiner Frau getrennt. Mehr möchte ich dazu nicht sagen.

Naht die Scheidung?

Ich lasse mich nicht scheiden.


Quelle: Presse am Sonntag von Sonntag, 24. Juli 2011; Seite 48

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