Freitag, 1. Juni 2012

So geh'n die Deutschen

Sieben Tage nur noch. Und der Frust nicht dabei zu sein bleibt. Weniger, dass sich Österreich nicht qualifiziert hat, ist dies doch ein ärgerlich gewohnter Zustand. Eher die Tatsache, dass am Eröffnungswochenende zeitlich, rein theoretisch, für mich doch die Möglichkeit bestünde nach Polen oder die Ukraine zu reisen, um live dabei zu sein. Um direkt vor Ort zu sein, ein bisschen EM-Flair zu erhaschen, ein Spiel, womöglich auf Topniveau, im Stadion zu verfolgen und nicht auf einer von der Sonne grell geblendeten Leinwand. Eintauchen in eine andere Kultur, andere Schauplätze. Die letzten Monate hat es mich wieder erfasst, das Fernweh. Hauptsache weg. Am besten an Orte, wo noch niemand war. Oder zumindest an solche, wo sich "normale" Touristen eher selten hinverirren. Lviv oder Kharkiw beispielsweise. Doch schließlich siegt die Vernunft. Der Geldbörse würde solch ein spontaner Trip sowieso Kopfschmerzen bereiten. Und ich würde selbige vom Gemeckere meiner Freundin bekommen. Und Eintrittskarten müssten auch noch organisiert werden. Wobei das für die Spiele in der Ukraine ja nicht so schwierig werden sollte, wie man munkelt. Bliebe die hypothetische Frage nach dem Spiel. Und womöglich die einzige Wahl Niederlande gegen Dänemark. Damit bleibt es schließlich bei Hirnwixerei und hätti, wari, tätti...So geht's im Juli für ein paar Tage nach Salzburg und dann weiter nach München. Nicht ganz so exotisch, aber wie gesagt: Hauptsache weg!

Das deutsche Team und ihr Eröffnungsspiel gegen Portugal wäre, nur der Anmerkung halber, eher keine Alternative für meine gedankliche Euroreise. Man will ja auch mal andere gute Nationen als die deutsche sehen. Und ich muss gestehen, ich empfinde eine ungewohnte Sympathie gegenüber der Nationalelf. Auf den chronischen Minderwertigkeitskomplex gegenüber unserer Nachbarn möchte ich hier nicht weiter eingehen, weil doch eh allseits bekannt. Und ein bisserl dazu gehört er ja auch. "Nur net die Deitschen!" Mein Bauchgefühl aber sagt mir, dass sie es werden. Europameister. Seit Klinsmann zeigt die Mannschaft spielerisch ein Gesicht, dass an einen unbeschwerten und unbekümmerten jungen Mann Anfang seiner Zwanziger erinnert, ähnlich einem Mario Götze oder einem Toni Kroos. Joachim Löw führt diese Linie weiter fort und lässt den grimmigen alten Kauz von früher vergessen. Jens Jeremies, Thomas Linke. Insofern die Sympathien. Die wenigen Schwächen, die mein Bauchgefühl verharmlosen, sind schnell aufgezählt. Die Außenverteidiger. Punkt. Philipp Lahm wird nicht wie bei den Bayern rechts, sondern links seine Flankenläufe unternehmen um solch Treffer wie sein Eröffnungstor bei der WM 2006 zu erzielen. Das allein ist aber nicht das Problem. Eher die geringe Anzahl an Alternativen. Rechts verteidigte gegen die Schweiz der Schalker Höwedes, gestern gegen Israel der Bayer Boateng. Der Dortmunder Schmelzer wird auf seiner linken Seite insofern eher weniger zum Zug kommen. Damit wären die Schwachpunkte der deutschen Elf auch schon durchgekaut. Im Abwehrzentrum kann Teamchef Löw aus Mertesacker, Badstuber, Hummels, Boateng und Höwedes wählen. Dahinter haben unsere Nachbarn mit Manuel Neuer dann immer noch einen der weltbesten Torhüter als Versicherung. Khedira und Schweinsteiger werden auf der 6 und 8 gesetzt sein, ihre Ersatzleute kommen mit Gündogan und Lars Bender aus Dortmund und Leverkusen. Auch beim offensiven Mittelfeldtrio respektive hängenden Spitzen hat Löw die Qual der Wahl. Podolski, Schürrle, Özil, Müller, Reus, Kroos, Götze. Da kann der Schwabe eigentlich nur alles richtig machen. Und als Speerspitze dann den Laziale Klose oder den Bayer Gomez. Sorgen, die Marcel Koller gerne hätte. Dass von den 23 Akteuren zwölf von den Bayern oder Dortmund kommen, kann hinsichtlich der Abstimmung auch nur ein Vorteil sein. Bleibt schließlich noch das verlorene Finale der Münchener gegen Chelsea. Doch gerade aus diesem Grund sehe ich Deutschland als großen Favoriten auf den Pokal. Eine deutsche Trotzreaktion aus dem Bilderbuch. Und irgendwie verspürten wir Österreicher doch immer schon Sympathien für Versager. Da wären die Bayern-Spieler heuer doch prädestiniert.

Deutschlands größter Rivale ist auch gleichzeitig Gruppengegner: Holland. Bei Oranje zeigte sich Coach Bert van Marwijk neulich erleichert, dass die Umstellung vom in den Niederlanden heiligen 4-3-3 auf ein international modernes 4-2-3-1 medial kein hohen Wellen mehr schlägt. Bis auf dass die Außenstürmer lediglich etwas zurückgezogen werden und das Zentrum tiefer steht, gibt es zwischen beiden Systemen aber nur wenige Differenzen. Vielleicht wird Taktik aber auch überbewertet. Überraschender ist da schon, dass der Bondscoach auf die Erfahrung von Urby Emanuelson verzichtet und als linken Deckel lediglich mit dem jungen Jetro Willems von der PSV plant. Die Lücke links hinten, welche Giovanni van Bronckhorst mit seinem Karriereende hinterließ, scheint bis heute nicht geschlossen. Der Rest der Abwehr ist passabel. Die erste Reihe, wie bei vielen anderen Endrundenteilnehmern, liest sich ausgezeichnet. Bei Oranje sind das die Innenverteidiger Heitinga und Mathijsen und Rechtsverteidiger van der Wiel. Dahinter warten mit Bouma, Boulahrouz und Vlaar aber, zwar überdurchschnittliche Spieler, aber keine Leute von Weltformat auf ihre Chance. Besonders in den entscheidenden KO-Spielen, wenn bereits die ein oder andere Gelbe Karte zu Buche steht oder sich die ersten Wehwehchen zeigen, könnten diese Männer zum Zünglein an der Waage werden. Mathijsen zwickt ja schon jetzt der Oberschenkel. Offensiv plagen van Marwijk ähnliche Probleme wie sein deutsches Pendant. Mit Sneijder, van der Vaart, Robben und van Persie verfügen die Niederlande aber über die, meiner Meinung nach, etwas besseren Einzelspieler. Hup Holland! Mit Huntelaar, Luuk de Jong, Kuyt und dem letztens gegen die Bayern aufzeigenden Narsingh hat van Marwijk jene qualitativen Ergänzungsspieler, welche ihm in der Defensive fehlen.

Nicht zu vergessen, in dieser Gruppe, seien die Portugiesen. Wie bei den letzten Turnieren, zählen die Iberer auch heuer wieder als Geheimtipp auf den Titel. Milde belächelt, weil hervorragende Einzelspieler, aber meist wenig Teamleistung. Das 0:0 vom Wochenende gegen Mazedonien negiert diese Annahme kein bisschen. Seit Paulo Bento aber auf der portugisieschen Bank Platz nahm, hat die Selecao acht von 15 Malen zu Null gespielt und netzt pro 90 Minuten durchschnittlich starke 2,25 Tore. Hauptverantwortlich für die starke Abwehr, ist das zentrale Bollwerk, in dem zwei Spieler aus dem Trio Pepe (Real Madrid), Rolando (Porto), Bruno Alves (Zenit St. Petersburg) eingesetzt werden. Garniert wird die Defensive durch Linksverteidiger Coentrao, ebenfalls von Real Madrid, und Rechtsverteidiger Joao Perreira von Europa-League-Semifinalist Sporting Lissabon. Wie schon bei Portugals Gegner Niederlande, ist aber auch bei den Iberern kaum Quantität in der defensiven Qualität vorhanden. Nach vorne hin, werden die Namen klingender, Joao Moutinho, Miguel Veloso, Raul Meireles. Auf den Flügeln Nani oder Quaresma, rechts, und Cristiano Ronaldo, links. Lediglich im Sturmzentrum kommt die Mannschaft von Paulo Bento nicht an die Klasse seiner Gruppengegner heran. Hugo Almeida (Besiktas), Helder Postiga (Saragossa) oder der 20-jährige Nelson Oliveira (Benfica) sollen für die nötigen Goals sorgen. Geiheimtipp ja, vorrausgesetzt die Selecao übersteht die Gruppenphase.

Blieben dann noch die Dänen. Mehr als überraschen können sie eigentlich nicht. Keiner erwartet den Aufstieg, keiner fordert ihn. Laut Buchmachern ist Danish Dynamite der größte Außenseiter aller Außenseiter. Mit einer Quote von 1,11 für ein Ausscheiden in der Gruppenphase, ist dieses für die Jungs von Morten Olsen so gut wie fix. Bei einem 4. Rang Dänemarks gibt's eine Quote von 1,55. Das sind die niedrigsten Odds aller 16 Teilnehmer für diese beiden Ereignisse. Selbst bei Irlands Heimreise nach der Gruppenphase gibts eine 1,14 und bei deren letzten Platz eine 1,80. Sicher kein Vorteil ist der Ausfall von Stammkeeper Martin Sörensen von Stoke City. Der 35-Jährige wurde auf Grund einer Rückenverletzung aus dem Kader eliminiert. Bei der Endrunde wird nun Stephan Andersen zwischen den Pfosten stehen. Der 30-Jährige hält momentan bei 8 Länderspieleinsätzen und erreichte diese Saison mit Evian in Frankreich sensationell den Klassenerhalt. Die Alternativen Kasper Schmeichel von Leicester City, der für Sörensen nachnominiert wurde, und Lars Lindegaard von Manchester United werden auf Grund ihrer fehlenden Spielpraxis eher nicht zum Zug kommen. Das Herzstück der Verteidigung ist sicherlich Liverpools Daniel Agger, der auch die Kapitänsbinde tragen wird. Neben ihm wird Simon Kjaer von der Roma ausputzen. Dass sich die Dänen in dieser hochkarätigen Gruppe wohl darauf beschränken werden, Beton anzurühren und das Spiel zu zerstören, ist auf Grund ihrer mangelnden spielerischen Qualität relativ zu ihrern Gegnern nur legitim. Mit Kahlenberg, Silberbauer, Zimling, Kvist und Christian Poulsen verfügt Morten Olsen über reichlich zähes Fleisch. Rackerer, die bis zur letzten Minuten der Nachspielzeit versuchen werden dem eitlen Gockel Cristiano auf die Knöchel zu treten. Lediglich von Ajax' Eriksen und Nijmegens Schöne, der nach der Euro ebenfalls nach Amsterdam transferieren wird, könnte der Zuseher am ehesten kreative Geistesblitze erwarten. Nicklas Bendtner mit einer bescheidenen Torquote von 0,26 bei seinen Vereinen wird das Kraut auch nicht fett machen.

Insofern stimme ich mit den Bookies überein, dass Dänemark in dieser Hammergruppe faktisch keine Chancen hat. Eventuell können sie, am ehesten noch den Portugiesen, einen Punkt abtrotzen, mehr kann ich mir aber beim besten Willen nicht vorstellen. Die Niederländer bewiesen noch im Herbst mit dem 0:3 gegen ihre Nachbarn, dass sie ihrer nicht würdig. Gegen Paulo Bentos Selecao behält Oranje aber die Oberhand und wird gemeinsam mit ihren Nachbarn das Viertelfinale erreichen. Die Deutschen werden, meinem Instinkt nach, einen Durchmarsch machen und erst im Halbfinale gegen Spanien oder Italien erste wirkliche Gegenwehr verspüren. Diese wird aber dann umso größer. Und dann bin ich gespannt, wie mein Urlaub in München wird.

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