Sonntag, 2. Oktober 2011

Fußball im Fernsehen könnte für die Fans billiger werden

Generalanwältin am EuGH hält die Verkaufspraxis der Fernsehrechte für Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit

theu. LONDON, 30. September. Eine Kneipenwirtin aus dem englischen Portsmouth könnte zum Schrecken des europäischen Profifußballs werden. Karen Murphy wollte in ihrem Pub "Red White and Blue" die Spiele der englischen Premier League zeigen. Aber die streitbare Gastwirtin sah nicht ein, dem britischen Bezahlsender BSkyB für die entsprechende Lizenz rund 10 000 Pfund im Jahr zu überweisen. Deshalb besorgte sich Murphy einen Satelliten-Decoder des griechischen Abonnementsenders Nova, der die Premier League ebenfalls zeigte, aber nur einen Bruchteil der Sky-Gebühren verlangte - und der Ärger begann. Nach jahrelangem Rechtsstreit will am Dienstag der Europäische Gerichtshof in Luxemburg sein Urteil in dem Präzedenzfall verkünden. Es könnte im Milliardengeschäft des europäischen Fußballs ein Erdbeben auslösen.

Wenn Karen Murphy recht bekomme, stünden dem Profifußball "gefährliche Zeiten" bevor, warnt Karl-Heinz Rummenigge, der Vorstandschef des deutschen Rekordmeisters FC Bayern München, und prophezeit ein ruinöses "Preis-Dumping" im Verkauf von Fernsehübertragungsrechten. Der Präsident des europäischen Fußballverbands Uefa, Michel Platini, fürchtet, dass das Urteil "die ganze Fußball-Landschaft verändern" könnte. Die Gastwirtin Murphy interessiert das allerdings wenig: "Wenn ich ein Auto kaufen will, kann ich zu jedem Händler in jedem Land gehen. Wenn ich Fußball sehen will, kann ich nur zum Sky-Händler gehen und muss dort zehnmal mehr zahlen."

Das Urteil des höchsten europäischen Gerichts wird mit Spannung erwartet und die Vorzeichen sind für die Fußballbranche nicht günstig. Die zuständige Generalanwältin Juliane Kokott hat sich im Februar in ihrem Schlussantrag auf die Seite der Gastwirtin gestellt und die Luxemburger Richter folgen in der Mehrheit der Fälle dieser Empfehlung. Aus Sicht der deutschen Juristin Kokott verstößt die Premier League gegen die Dienstleistungsfreiheit in der EU, wenn sie die Pub-Wirtin daran hindern will, die Fußball-Übertragungen vom Anbieter ihrer Wahl zu beziehen. Der Fußballverband versuche damit, den europäischen Binnenmarkt zu unterlaufen. Die Premier League selbst pocht dagegen auf ihren Urheberrechtsschutz: Der griechische Bezahlsender verstoße gegen vertragliche Vereinbarungen, wenn er auch Abonnenten in England bediene.

Für Fußballvereine und Fans geht es um viel Geld. Wenn die Premier League tatsächlich unterliegen sollte, dürften die Abonnementpreise im europäischen Bezahlfernsehen auf breiter Front purzeln. Denn bisher können die Fußball-Ligen durch den Verkauf von exklusiven Übertragungsrechten in den einzelnen Ländern Monopole schaffen. In Zukunft könnten die Richter dagegen einen europaweiten Wettbewerb erzwingen. Bundesliga-Fans können dann möglicherweise Bezahlfernseh-Abonnements nicht nur beim deutschen Sky-Ableger, sondern auch bei ausländischen Anbietern abschließen, die internationale Übertragungen via Satellit oder Internet anbieten. Mehr Konkurrenz aber lässt auf niedrigere Preise hoffen.

Was die Fans freut, ist für die Vereine ein finanzieller Albtraum. "Die Preise für Übertragungsrechte würden massiv unter Druck geraten", heißt es in Branchenkreisen. Damit würde eine der wichtigsten Ertragssäulen des Profifußballs wegbröckeln: In Deutschland machen die Fernseherlöse knapp ein Drittel der Gesamteinnahmen der Clubs aus. In Großbritannien, Frankreich und Italien sogar mehr als die Hälfte.

In der Zentrale der Deutschen Fußball Liga hieß es am Freitag zu dem brisanten Rechtsstreit nur: "kein Kommentar". Auch Sky hält sich kurz vor der Urteilsverkündung bedeckt. "Aus jeder möglichen Veränderung ergeben sich neben Risiken auch Chancen", sagte ein Unternehmenssprecher lediglich. Der Bezahlsender könnte wohl niedrigere Einkaufspreise für die Übertragungsrechte einfordern, wenn deren Exklusivität durch Konkurrenten geschmälert würde.

In der Bundesliga hält man es inzwischen für einen Fehler, dass die Premier League die Kneipenwirtin Murphy vor Gericht gezerrt hat. "Damit haben die möglicherweise ein Eigentor geschossen", sagt ein Beteiligter. Aber damit nicht genug: Auch andere Branchen dürften das Grundsatzurteil aus Luxemburg mit Spannung erwarten. Wenn die EU-Bürger in Zukunft beim Fernseh-Fußball europaweite Wahlfreiheit bekommen sollten, muss das dann nicht zum Beispiel auch für den Online-Vertrieb von Hollywood-Filmen und Musikalben gelten?



Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung von Samstag 01. Oktober 2011; Seite 12

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